Gemeinsam Kinder vor häuslicher Gewalt schützen

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Stadt Mannheim

Mannheimer Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe haben sich gestern beim zweiten Fachtag im Stadthaus mit dem Thema „Kinder und häusliche Gewalt – gemeinsam handeln und schützen“ aus wissenschaftlicher, rechtlicher, polizeilicher und täterorientierter Sicht auseinandergesetzt. Gemeinsames Ziel der Fachleute ist es, das gut funktionierende Mannheimer Netzwerk zum Schutz der Kinder weiterzuentwickeln.

Häusliche Gewalt kommt in vielen Familien vor, dabei befinden sich die Kinder meist mitten im Gewaltgeschehen. Sie sind unmittelbar anwesend oder „Hörzeugen“ der Partnerschaftsgewalt. Selbst wenn sich die Gewalt nicht direkt gegen die Kinder richtet, kann es zu kognitiven, emotionalen und sozialen Entwicklungsbeeinträchtigungen bis hin zu posttraumatischen Belastungsstörungen kommen. Nicht selten werden sie selbst Opfer von direkter körperlicher oder psychischer Gewalt. Der Schutz der Kinder, die in häuslichen Gewaltverhältnissen aufwachsen, ist eine unabdingbare Aufgabe in den verschiedenen Hilfesystemen.

Enge Kooperation im Hilfesystem
Dr. Peter Schäfer, kommissarischer Leiter des Fachbereichs Kinder, Jugend und Familie – Jugendamt und Leiter des Gesundheitsamts, betonte zu Beginn der Veranstaltung „die gute Kooperation zwischen Polizei, Universitäts-Kinderklinik, Clearingstellen, Psychologischen Beratungsstellen, Frauenhäusern, Familiengericht und Jugendamt in Mannheim“ zum Schutz der Kinder. Die Implementierung des Gewaltschutzgesetzes im Jahr 2002 als Bundesgesetz habe dazu beigetragen, das Thema häusliche Gewalt aus der Tabuzone in die Öffentlichkeit als gesamtgesellschaftliches Problem zu tragen. „Häusliche Gewalt spielt sich in allen sozio-ökonomischen Schichten ab, es ist keinesfalls ein Problem finanziell benachteiligter Lebensgemeinschaften“, stellte Dr. Peter Schäfer klar.

Wird die Polizei bei häuslicher Gewalt gerufen und sind Kinder im Haushalt gemeldet, wird ein standardisiertes Formular über den Vorgang zum einen verbindlich an das Jugendamt und zum anderen, mit Einverständnis des von Gewalt betroffenen Elternteils, an die Clearingstellen versandt. Die Mannheimer Clearingstellen bieten beratend und vermittelnd Unterstützung an. Der Schutz der betroffenen Kinder wird mit individuellen freiwilligen Angeboten der Beratungsstellen und der Jugendhilfe an die Eltern oder durch familiengerichtliche Auflagen sichergestellt. „Das einzelne Kind muss durch das Helfersystem also wahrgenommen werden und in seiner individuellen Lebenssituation Hilfe erhalten. Hier liegt die besondere Aufgabe und Verantwortung beim Jugendamt. Jede polizeiliche Mitteilung von Gewalt im sozialen Nahraum wird im Rahmen einer Prüfung des Kindeswohls bearbeitet“, erklärte der kommissarische Leiter des Jugendamts.

Im Jahr 2017 gingen beim Jugendamt Mannheim 123 Meldungen zu Gewalt im sozialen Nahraum ein, davon waren 231 Kinder und Jugendliche betroffen. „Wir gehen von einer weitaus höheren Dunkelziffer aus, denn das Rufen der Polizei – häufig durch die beteiligten Kinder – erfordert Mut, die erlebte Gewalt offen zu legen“, erklärte Dr. Peter Schäfer.

Kinder mehrfach betroffen
Prof. Dr. Barbara Kavemann vom Sozialwissenschaftlichen FrauenForschungsInstitut Freiburg – Berlin, sprach über Gewalt in Paarbeziehungen und die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Es sei eher die Regel, dass Kinder bei familiärer Gewalt mehrfach betroffen seien: in Form von psychischer Gewalt, wenn sie der Gewalt in der Paarbeziehung ausgesetzt sind, daneben würden sie sehr oft selbst körperlich misshandelt, gewalttätige Eltern pflegten häufig einen autoritären Erziehungsstil. Dies alle könne zu deutlichen Verhaltensstörungen bei Kindern führen, auf die wieder mit Gewalt reagiert werde. Wenn gewaltbetroffene Eltern zusätzlich eine Suchterkrankung oder psychische Erkrankung zeigen, erhöhe sich dadurch die Belastung für die Kinder zusätzlich. Je jünger die betroffenen Kinder sind, desto gefährlicher bis hin zu lebensbedrohlich könne die Situation für sie werden. Auf Seiten der Jugendämter müssten die Mütter – denn die meisten Betroffenen von Gewalt sind weiblich – intensiv unterstützt werden, eine enge Kooperation mit dem Familiengericht sowie Schutz- und Beratungseinrichtungen sei hierbei notwendig.

Kinder gewalttätige Paare reagierten in erster Linie mit Angst – oft um die Mutter, manchmal auch um den Vater „dass er nicht weißt, was er tut“ - zitierte Kavemann aus Interviews mit Kindern, in denen diese über das Erlebte erzählen. Oft hätten die Kinder auch Alpträume, Schlafstörungen, seien aggressiv oder ängstlich, zurückgezogen oder nässten ein. In ihrem Verhalten in der gewalttätigen Familie zeigten sie „hochproblematische geschlechtsspezifische Zuschreibungen“, so die Professorin: Jungen stellten sich oft schützend vor ihre Mütter, während Mädchen den Part übernähmen, den Vater zu beruhigen und lieb zu ihm zu sein. Bei älteren Mädchen wiederhole sich häufig das Verhalten in der eigenen Partnerschaft, wenn keine anderen Lösungsansätze gelernt wurden, werden dann beispielsweise Fremdgehen, nicht gewollte sexuelle Praktiken oder Gewalt durch den Partner akzeptiert und ausgehalten.

Auch die Konzentrations- und Lernfähigkeit der Kinder und Jugendlichen leide, damit werde häufig der Schulerfolg gefährdet. „Für ihr späteres Leben wird diesen Kindern dann echt etwas verbaut“, betonte Kavemann. Deshalb dürften auch Jugendliche aus gewalttätigen Familien nicht aus dem Blick des Hilfesystems geraten.

Insofern seien spezielle eigene altersgerechte und themenspezifische Unterstützungsangebote für Kinder- und Jugendliche wie beispielsweise Gruppenangebote zum Austausch oder aber eine therapeutische Begleitung notwendig. Alleine sich gegenüber einem Erwachsenen zu öffnen, von ihm ernst genommen zu werden und über das Erlebte sprechen zu können, habe in vielen Fällen schon deutliche positive Auswirkungen bei dem Kind. Ein großes Problem sei das „Opferstigma“: Viele Kinder (knapp 70% der Befragten) gaben an, dass Gewalt eine innerfamiliäre Angelegenheit sei, die andere nichts angehe und über die sie aus Angst, gemobbt zu werden, nicht mit anderen sprechen würden. Nur die Hälfte sagte, dass das Thema einen Lehrer etwas angehe und nur etwa 52% wussten überhaupt, dass häusliche Gewalt verboten ist und die Polizei gerufen werden kann. Insofern seien auch entsprechende Präventionsangebote sinnvoll und nötig. Um den Betroffenen Schutz und Unterstützung anzubieten, müssten alle Einrichtungen eng kooperieren. Denn: „Niemand alleine, keine Person und keine Institution alleine – kann Gewalt gegen ein Kind erkennen, offen legen, das Kind schützen und die Folgen tragen“, schloss die Referentin ihren eindrucksvollen Hauptvortrag.

Gewaltschutzverfahren – ein wichtiges Instrument
Andreas Brilla, Richter am Amtsgericht und Fachbereichsleiter für das Familien- und Betreuungsgericht, erläuterte die Möglichkeiten und Grenzen der familiengerichtlichen Entscheidung. Im Rahmen des Gewaltschutzgesetzes haben Polizei und Justiz Möglichkeiten, die schlagende Person der Wohnung zu verweisen.

Sind Kinder im Haushalt gemeldet, wird grundsätzlich das Jugendamt über die häusliche Gewalt informiert. Im Einverständnis der Betroffenen wird ein Kontakt zu den Unterstützungsangeboten für die Betroffenen hergestellt und entsprechende Hilfeleistungen angeboten. Der Schutz der Kinder steht dabei stets im Vordergrund. Sollten die Eltern oder Stiefelternteile diesen Schutz nicht sicherstellen können, muss das Jugendamt das Familiengericht anrufen. Das Familiengericht entscheidet dann, welche Maßnahmen zur Sicherstellung des Kindeswohls erfolgen müssen.

 

„Es gibt immer eine Wahl“
Andreas Schmiedel vom Münchner Informationszentrum für Männer e.V. informierte über kinderschutzorientierte Arbeit mit Vätern, die Paargewalt ausüben. Ein wichtiger Ansatz der sozialpädagogischen Arbeit mit den Tätern sei, ihnen zu vermitteln, dass es auch in Grenzsituationen immer eine Wahl gebe und die Möglichkeit, anders zu handeln. „Täterarbeit bedeutet in der Regel eine intensive Auseinandersetzung des Täters mit seinem gewalttätigen Verhalten und zu Grunde liegenden kognitiv-emotiven Verarbeitungsmustern“, erklärte Schmiedel. Um wirklich „erfolgreich“ zu sein, müsse die Täterarbeit in ein Gesamtsystem der Intervention gegen häusliche Gewalt eingebunden sein.

Uwe Stürmer, Vizepräsident des Polizeipräsidiums Konstanz und Leiter Kriminalpolizeidirektion Friedrichshafen, schilderte den professionellen Umgang der Polizei mit Hochrisikofällen häuslicher Gewalt und ging auf die rechtliche Lage ein. Er stelle die Gefährderansprache als wichtiges Instrument vor und befürwortete ein konsequentes Vorgehen der Behörden und Institutionen. Auch er hob in seinem Vortrag hervor, dass es unabdingbar sei, „interdisziplinäre Schutznetze aufzubauen“.

Veranstaltet wurde die mit über 300 Teilnehmern komplett ausgebuchte Fachtagung gemeinsam von: Caritasverband Mannheim e.V., Psychologische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, Frauen- und Kinderschutzhaus, Heckertstift, Mannheimer Frauenhaus e.V., Fraueninformationszentrum und Frauenhaus, Stadt Mannheim, Fachbereich Kinder, Jugend und Familie – Jugendamt.