Warum gehen Menschen zum Fußballspiel?


Mannheim.  "Weil sie nicht wissen, wie´s ausgeht", hat Seppl Herberger die Faszination erklärt. Die Stadionbesucher von Mannheim zelebrieren heute ihren Nachmittag aus unterschiedlichsten Gründen. Beim SV Waldhof gibt´s jede Menge Ultras. Das sind fanatische, aber meist gewaltfreie Anhänger, die für ihre liebste Wochenendbeschäftigung stundenlang Choreografien einstudieren und gerne mit Pyrotechnik provozieren. Der Rest im Stadion will eigentlich nur eines: ein schönes Spiel und einen Sieg.
Zu ihnen zählt Lothar. Der lässt es sich in "guten wie in schlechten Tagen“ nicht nehmen, beim Heimspiel Flagge zu zeigen. Er kämpft sich immer mit dem Auto über die Seckenheimer Landstraße bis zum Carl-Benz-Stadion durch. Das Gros der Besucher fährt mit der Straßenbahn zur Kampfbahn in Neuostheim. Sammelplatz: vor dem Rhein-Neckar-Fußballcenter. Hier wartet immer eine eingeschworene Clique in blau-schwarzen Trikots der "Buwe" wie Erfolgstrainer Klaus Schlappner seine Jungs immer gerufen hat. Einer trägt die Nummer 7 "Bührer", ein anderer die 5 "Sebert". Namen von Ikonen des Klubs, die zusammen weit über 1000 Mal auf dem Platz gestanden sind. Das Tragen ihrer Rückennummern gilt als Zeichen höchster Verehrung. Trikots aus der neuen Kollektion für 65 Euro das Stück sieht man in diesem Kreis seltener.
Das "Aufwärmbier" oder zwei sind getrunken. Es geht in Richtung 13 Uhr. Die Schlange vor dem Haupteingang wird länger. Taschenkontrolle, ein paar Stufen hinauf zum Ticketcheck und dann mal kurz einen Blick in den Fanshop riskieren. Merchandising zählt längst zu den unverzichtbaren Einnahmequellen. Pullis, Hoodies oder Schals in den Vereinsfarben gehen immer. Aber wer braucht schon kurz vor dem Anpfiff eine Bade-Ente mit Ball oder ein Frühstücksbrettchen mit Vereinswappen? "Pro Waldhof", der offizielle Dachverband aller Fanclubs, bietet gerade das preiswerte Sonder-T-Shirt "110 Jahre Otto Siffling". Wieder so eine Verbeugung vor einem Helden aus glorreichen Kickertagen.
Am Seitentor stimmt "Schreppi", die Betreuerin der so genannten "Einlaufkinder", ihre Meute ein. Seit Jahren sorgt sie „fer umme“ dafür, dass Jugendfußballer aus der Region die Profimannschaften in die Arena begleiten und den Zuschauern zuwinken. Ohne solche Freiwilligen sähe das blau-schwarze Traditionsprotokoll anders aus. Auch Marjan, der am Aufgang zum Tribünenblock Eintrittskarten prüft, zählt zum "Inventar". Der Senior mit den kecken Hütchen steht seit drei Jahrzehnten sommers wie winters an seinem festen Platz und hat Absturz und Auferstehung des "Mythos Waldhof" schon mehrfach hautnah miterlebt.
Wer vor Spielbeginn spürt, dass Bier einen Weg aus dem Körper sucht, dem bleibt der Gang zu einem der öffentlichen Örtchen nicht erspart. Die alten Toiletten sind mit Aufklebern der "Rabauken Waldhof", "Old Dirty Bastards", "Underground Assis" oder anderen, schicken Gruppennamen "geschmückt" - ein Museum für die Ultraszene, gewissermaßen. Nur das Urinal, das morgens rasch mit gelber Sanitärflüssigkeit übersprüht wird, riecht bald schon nicht mehr nach Sommerwiese.
Dann endlich, "Blau und Schwarz, Hand in Hand" dröhnt es aus den Stadionlautsprechern und der Kurve. Bald stimmt das Gros der Fußballfans in die "heilige Hymne" des Sportvereins Waldhof 07 mit ein. Dazu Aufstehen ist Ehrensache. Unten auf dem Spielfeld warten die Mannschaften auf den Anpfiff. Noch rasch donnernder Applaus für die gewohnt aufwändige Choreografie. Die ganze Otto-Siffling-Tribüne, das Hoheitsgebiet der Ultras, erstrahlt wieder in den Vereinsfarben. Der Schiri pfeift, der Ball rollt, Nervenkitzel pur für alle, die mit dem Herzen dabei sind. "Einmal Waldhof, immer Waldhof" skandieren die Anhänger gebetsmühlenartig. Ihre Energie ist traditionell ansteckend und bewundernswert. Denn bis auf die Halbzeitpause gehen dem Massenchor mit "Vorsänger" weder Texte noch Puste aus. Ihre Stimmgewalt hat schon viele Gegner nervös gemacht. Als "13. Mann" hieven sie der Mannschaft über schwache Momente hinweg. Nun ist Lothar in seinem Element. Binnen Minuten taucht er ein in den lauten Wochenendspaß der glückseligen Menge, die ihren "Ess - Vau - Wee" zum Sieg brüllen will. Funktioniert nicht immer, aber immer öfter.

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Wolf Goldschmitt

Wolf H. Goldschmitt