Im Endspurt des Mannheimer OB-Wahlkampfs wird der Ton rauer

Rathaus5 Stadt Mannheim

Mannheim. Bei der Oberbürgermeisterwahl in Baden-Württembergs zweitgrößter Stadt hat im ersten Wahlgang kein Kandidat die absolute Mehrheit erhalten. Am kommenden Sonntag geht es in die zweite Runde. Von acht Bewerbern sind noch drei im Rennen: Mannheims Erster Bürgermeister Christian Specht (CDU), der „Kandidat der Mitte“, lag im ersten Wahlgang mit 45,6 Prozent der Stimmen mehr als 15 Prozent vor dem SPD-Fraktionschef Thorsten Riehle. Ebenfalls auf dem Wahlzettel der parteiunabhängige Ugur Cakir. Im bislang eher gemächlichen Wahlkampf wird der Ton rauer.

Über 28.000 türkischstämmige Bürgerinnen und Bürger mit deutscher oder doppelter Staatsbürgerschaft leben in Mannheim. Auch sie könnten bei der Oberbürgermeisterwahl ihre Stimme abgeben, was allerdings kaum geschieht. Besondere Brisanz erhält das Thema durch CDU-Stadtrat Thomas Hornung, der aktiv am Wahlkampf von Christian Specht beteiligt ist .Er schreibt unter anderem: „Ups. Lässt Thorsten Riehle sich von Leuten wählen, die vor kurzem noch den Diktator der Türkei gewählt haben? Erdogan-Wähler würden Riehle wählen.“ Hornung spielt damit auf türkischstämmige Mannheimer mit doppelter Staatsbürgerschaft an, die in der Türkei und Deutschland wählen dürfen. „Der Post des CDU-Stadtrats diente offenbar dem Zweck, Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte pauschal zu diffamieren und damit vor der anstehenden Stichwahl am rechten Rand zu fischen“, mutmaßt Stefan Fulst-Blei, Kreisvorsitzender der SPD.
CDU-Kandidat Christian Specht dazu: „Ich werbe um das Vertrauen aller Mannheimerinnen und Mannheimer“, betonte er. „Pauschalisierungen sind aus meiner Sicht nicht zielführend. Der Kommentar wurde von Herrn Hornung in eigener Verantwortung erstellt und war – wie jede persönliche Meinungsäußerung von Parteimitgliedern – nicht mit mir abgesprochen. Persönlich beschäftige ich mich grundsätzlich nicht mit den Aktivitäten meines Mitbewerbers, sondern stelle mich mit meinen Vorstellungen und Konzepten aktuell jeden Tag den Bürgerinnen und Bürgern.“
Der 53jährige Riehle, der im ersten Wahlgang auf knapp ein Drittel der Stimmen kam, zählt jetzt auf die Unterstützung der Grünen. Derer eigener Bewerber Raymond Foykar war auch wegen einer misslungen Plakatkampagne mit fast 14 Prozent gescheitert. Mit dieser Unterstützung im Rücken bläst die Mannheimer SPD zum Angriff und greift CDU-Mann Specht frontal an. In einer Erklärung wirft die Partei dem Team des Ersten Bürgermeisters indirekt vor, Werbung für Riehle entfernt und dafür solche mit dem eigenen Kandidaten aufgehängt zu haben. Obendrein verlangt man von Specht, seine Wahlkampffinanzierung und seine politischen Absichten auf den Tisch zu legen. Man spekuliert, Bernd Beetz, der Präsident und Geldgeber des Fußballvereins SV Waldhof, stehe hinter dem Christdemokraten, um ein neues Stadion mit einer höheren Zuschauerzahl als ursprünglich geplant durchsetzen zu können. Die SPD fordert deshalb vom bekennenden Waldhof-Fan Specht „möglichen Einfluss auf zukünftige Entscheidungen des neuen OB durch Dritte aufzudecken und den Nebel über sein Wahlkampfbudget zu lichten“. Der Gemeinderat hatte zuletzt mit rot-grüner Mehrheit ein neues Stadion abgelehnt und trotz ungeklärter Kostenlage für die Sanierung des bestehenden Carl-Benz-Stadions plädiert.
Und noch eine Attacke: "Wenn ich mir sein bisheriges Wirken als Erster Bürgermeister anschaue, ist in vielen Bereichen noch Luft nach oben. Etwa bei Sicherheit und Sauberkeit. Ich finde es auch schwierig, wie er sich in den letzten Wochen im Wahlkampf generell gegen die Stadtverwaltung gestellt hat. Dabei ist er doch einer ihrer obersten Repräsentanten", greift Riehle seinen Mitbewerber einem Interview an.
Um sich die Stimmen aus dem Lager der Grünen Wählerschaft zu sichern, hat der Sozialdemokrat allerdings auch Kröten schlucken müssen: bei der künftigen Verkehrspolitik in der City. Nun soll der umstrittene Verkehrsversuch mit Autosperren in der Innenstadt ab Anfang nächsten Jahres weitergehen. Damit stellt sich der SPD-Mann, der beim ersten Wahlgang gerade in der Innenstadt vor Specht lag, gegen die Mehrheit der Einzelhändler, die Umsatzeinbußen befürchten. Zudem haben sich Genossen und Grüne verständigt, eine neue Stadtbibliothek zu bauen. Stadtkämmerer Specht hingegen warnt davor, dass die bislang veranschlagten Kosten wie stets bei öffentlichen Projekten von 70 Millionen Euro rasch rapide steigen könnten. Specht, der von FDP und Mannheimer Liste unterstützt wird, hat im Vergleich zum Kontrahenten sein Wahlprogramm („Dein Mannheim kann mehr“) nicht geändert. Er will kleine und mittlere Unternehmen stärker unterstützen und sieht im öffentlichen Nahverkehr Rad, Auto und Fußgänger als gleichberechtigt an.
Eine unschöne Episode aus dem Wahlkampf erregt die Gemüter. Der parteilose Kandidat David Frey, der 1,2 Prozent der Stimmen holte, fühlte sich genötigt und „übelst gedrängt“, seine Kandidatur für den zweiten Wahlgang aufzugeben. Freys Vorwurf richtet sich gegen seinen Arbeitgeber, den Verein POW. Der betreibt ein gemeinnütziges Sozialprojekt, das auch mit städtischen Mitteln unterstützt wird. Der 58-Jährige sei nach eigener Darstellung von Vereinsmitglieder als „dumm und verantwortungslos“ bezeichnet worden. Wenn die Stadt an die Rechten falle, sei er daran mitschuldig, hatte es geheißen. Diesem psychischen Druck konnte Frey nicht standhalten.

wolf h. goldschmitt