Chancen und Risiken für Mannheims neuen OB Christian Specht


Mannheim. EBMspechtNach der Wahl ist vor der Wahl. Baden-Württembergs zweitgrößte Stadt hat einen neuen Oberbürgermeister. Der CDU-Mann Christian Specht besitzt nach dem Wahlkrimi am vergangenen Sonntag künftig als Leiter der Stadtverwaltung eine starke Stellung. Er kann Entscheidungen des Stadtparlaments blockieren und dringende Maßnahmen auch ohne Beschluss des Gremiums anordnen. Im Gemeinderat selbst ist er kraft Amtes ebenfalls Mitglied, hat aber nur eine Stimme. Die Volksvertreter ihrerseits müssen alles absegnen, was über formale Verwaltungsakte hinausgeht. Was erwartet den ersten christdemokratischen Stadtchef bei einer grün-rot-roten Mehrheit ein Jahr vor dem Kommunalwahlkampf?
Das bürgerliche Lager um CDU, Mannheimer Liste (ML) und FDP hat in seltener Geschlossenheit den "schwarzen" Kandidaten unterstützt. Sie sind im Gemeinderat mit zusammen 16 Sitzen - nur einem Drittel - klar in der Minderheit. Ob wegen dieses geglückten Coups über Parteigrenzen hinweg bei der Kommunalwahl im Juni 2024 wieder eine bürgerlich-konservative Mehrheit in Mannheim möglich wird, ist mehr als fraglich. Spechts Sieg kam letztlich auch gerade wegen seines Bekanntheitsgrades als Erster Bürgermeister zustande. Bemerkenswert: sogar in der traditionellen Genossenhochburgen Waldhof und Schönau hat er den SPD-Kontrahenten Thorsten Riehle hinter sich gelassen. Bei der Kommunalwahl wird Specht der Union als Zugpferd fehlen und seine heutigen Unterstützer werden wieder jeder für sich um Mandate kämpfen müssen.
Mit 28 Sitzen haben SPD, Grüne und LI.PAR.Tie eine satte Mehrheit im Gemeinderat. Doch wie groß sind jetzt die gegenseitigen Schuldzuweisungen, weil dem Sozialdemokraten am Ende nur 860 Stimmen fehlen? Was mit frühzeitiger Gemeinsamkeit und mehr Hilfestellung möglich gewesen wäre, liegt auf der Hand. Dass aber weder der Grünen-Kandidat Raymond Fojkar noch die Linke Isabell Belser nach ihrem Rückzug vor dem zweiten Wahlgang über ihren Schatten sprangen und zur Wahl des SPD-Kandidaten aufriefen, sorgte für Verärgerung. Beide gaben aus persönlichen Gründen keine Empfehlung für Riehle ab. Die Ankündigung der Genossen, dennoch zuversichtlich für die Kommunalwahl zu sein, klingt kurz nach dem Verlust ihres OB-Postens wie das Pfeifen im Wald.
Mit einer höheren Wahlbeteiligung als den erschreckend schwachen 30,9 Prozent dürfen bei der Kommunalwahl alle Parteien wohl rechnen. Zum Glück findet gleichzeitig die Europawahl statt. Wer allerdings von der politischen Großwetterlage am meisten profitieren könnte, wäre nach momentaner Einschätzung die AfD. Die hat zur Zeit vier Mandate im Gemeinderat und war bei dieser OB-Wahl außen vor.
Wenn es keine bürgerlichen Mehrheiten gibt und die Linken zerstritten sind, kann für den neuen OB ein Chance sein. Aus eigener Kraft kann er zwar so gut wie nichts im Gemeinderat durchboxen und muss sich frühzeitig um Mehrheiten in allen Parteien bemühen. Vom Naturell des gebürtigen Waldhöfers her aber liegt ihm das sachliche Argumentieren. Allerdings gibt es auch CDU-Parteifreunde, die dem 56jährigen (bislang zumindest) eine gewisse Scheu vor mutigen Entscheidungen absprechen. Bereits am Wahlabend wurde eines deutlich: Die Mehrheit im Gemeinderat erwartet vom neuen OB, dass er seine Position als Vertreter der konservativen Minderheit nicht ausnutzt, Vorhaben der Mitte-Links-Politiker zu blockieren.
Vor Christian Specht liegt zudem ein Bündel ungelöster Aufgaben seines Vorgängers. Die Fusion der Kliniken Mannheim und Heidelberg, die gewaltigen Verkehrsprobleme und der Wunsch der Grünen nach einer autofreien City oder die Kostenexplosion bei der Sanierung des Mannheimer Nationaltheaters werden einem langjährigen Kämmerer vom Schlag Christian Specht schlaflose Nächte bereiten. Und als bekennender Fan des Fußballdrittligisten SV Waldhof muss er obendrein mit den Forderungen seines Lieblingsvereins nach einem Stadionneubau umgehen und bei knapper Stadtkasse Prioritäten setzen.

 

Wolf H. Goldschmitt