Mannheim. "Ohne meine Hartnäckigkeit sähe der Haushalt der Stadt heute anders aus", erzählt Roland Hartung.

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Wolf Goldschmitt
  Das Wort "schlechter" nimmt der 87jährige nicht in den Mund. Aber er könnte es, denn ohne den Börsengang der ehemaligen Stadtwerke vor genau einem Vierteljahrhundert fehlten dem Kämmerer jährlich gut und gern 50 Millionen Euro MVV-Dividende im Stadtsäckel.
Der Käfertaler Landwirtssohn gilt vor 25 Jahren als die treibende Kraft beim mutigen Einstieg der MVV Energie ins Aktiengeschäft. Genau am 2. März 1999 bringt der Vorstandsvorsitzende den eher „langweiligen“ Lieferanten von Strom und Wasser als ersten kommunalen Energieversorger Deutschlands an die Börse und formt ihn im Laufe seiner Jahre an der Spitze zu einem breit aufgestellten, konkurrenzfähigen Konzern.
Im Zuge der Liberalisierung des europäischen Strommarktes beginnt am Neckar die schrittweise Privatisierung eines Unternehmens, dessen Anteile zuvor zu 100 Prozent bei der Kommune liegen. Heute sind es noch 50,1 Prozent. "Die Börsianer dachten, die in Mannheim haben sie nicht mehr alle beisammen und fallen bestimmt auf die Nase", erinnert sich der Pionier, der 1988 den Chefposten im Hochhaus am Neckarufer übernommen hatte. Diese "Jahrhundertentscheidung" sei allerdings eine schwere Geburt gewesen, gibt er gerne zu: "Aber eine unverzichtbare, sonst wären wir während der EU-Marktliberalisierung von den großen Stromkonzernen geschluckt worden".
100 Jahre zehrten bis dahin die Stadtwerke von ihren Monopolen, einen Wettbewerb gibt es nicht. Nach der Deregulierung wird der Strom zu einer frei handelbaren Ware. Als Eigentümer der kommunalen Netze behalten die örtlicher Versorger zwar ein kleines Monopol, aber die finanzstarken Interessenten scharrten bereits mit den Hufen, ihre Gebiete zu vergrößern. Mannheim stand vor der Wahl: "Fressen oder gefressen werden", drückt Hartung es deutlich aus. Die einzige Chance, so zu wachsen, um nicht mehr eingesackt werden zu können: "Wir mussten auf Gedeih oder Verderb größer werden. Frisches Geld war notwendig", erzählt der gute Freund von Helmut Kohl im Gespräch mit der RHEINPFALZ. Und so boxt er gegen alle warnenden Stimmen und Bedenkenträger den Schritt aufs Börsenparkett durch. Über 200 Millionen Euro bringt der Sprung ins Haifischbecken ein und der "Energiemanager des Jahres 2012" geht auf Shoppingtour in ganz Europa. Die MVV wächst, beteiligt sich an anderen Stadtwerken wie Offenbach oder Kiel und investiert von Spanien bis Polen in erfolgversprechende Zukunftsbranchen.
Im Jahre 2003 geht Roland Hartung von der Kommandobrücke des Tankers. Nach einem fruchtlosen Intermezzo von Rudolf Schulten übernimmt 2009 Georg Müller das Ruder und liefert den Anteilseignern seither gute Ergebnisse - 2023 sogar einen Rekordwert von 881 Millionen Euro bei einem Umsatz von 7,5 Milliarden Euro. Allen Unkenrufen zum Trotz hat sich auch die Aktie trotz Turbulenzen am Markt gut geschlagen. Vom Ausgabekurs 16,03 Euro steigerte sich der Wert bis heute auf knapp 35 Euro - keine schlechte Bilanz für ein angebliches "Harakiri-Vorhaben" wie ein Aufsichtsratsmitglied vor 25 Jahren die Idee titulierte. Hartung selbst schmunzelt heute darüber und meint nur: “Es lief doch ganz ordentlich“.