„Geschichten aus dem Wienerwald! – Zimmertheater-Sternstunde der Freilichtbühne Mannheim

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Strahlende Mienen bei allen Mitwirkenden nach einer tollen Premiere der „Geschichten aus dem Wiener Wald“.
Grandiose authentische Inszenierung von Markus Muth/ Tolle Ensemble-Leistung

Ödon von Horvath, sozialkritischer „Erneuerer des Volksstücks“, „Kleist“-Preisträger und „Klassiker der Moderne“ im frühen 20.Jahrhundert wäre zweifellos von der grandiosen, ausgesprochen authentischen und sehr emotionalen Inszenierung seines vielfach verfilmten Erfolgsstückes „Geschichten aus dem Wienerwald“ sehr angetan gewesen, das zurecht eine umjubelte Premiere im Zimmertheater der Freilichtbühne Mannheim erlebte und immer wieder mit stürmischem Applaus bedacht wird. Dieser gilt dem Regisseur Markus Muth, der sich sehr intensiv mit den speziellen Intentionen des Autors auseinandergesetzt hat ebenso wie seinem brillanten, spielfreudigen Ensemble – eine perfekte Mischung aus FLB-Routiniers und begabten Theater-Newcomern zwischen 17 und 71 Jahren.
Christa Krieger, junggebliebene Freilichtbühnen-Oldtimerin mit mehr als 50 Jahren Theatererfahrung, Ehrenvorsitzende des 103 Jahre jungen Amateurtheaters im Mannheimer Norden, glänzt in der Rolle der Großmutter als Inkarnation einer herrschsüchtigen, verbitterten, skrupellosen bösen alten Frau, aber auch alle anderen Rollen des großen 18-köpfigen Ensembles sind hervorragend und typgerecht besetzt und zeichnen sich durch große Spielfreude und tolle Umsetzung der Anweisungen des Regisseurs aus, der eine sehr genaue Vorstellung von dem Stück und von der sehr speziellen Sprechweise, hatte, wie sie der Auto ausdrücklich vorgegeben hat Es sind stilisiert gesprochene Dialoge mit bewusst gesetzten Pausen („Die Stille“), in denen das Bewusstsein mit dem Unterbewusstsein kämpft. Nur ganz selten muss mal ein Satz ganz plötzlich ganz realistisch gesprochen werden ,da werden dann die Menschen hinter den Fassaden deutlich und deshalb ist dies für den Autor ganz wichtig.
Die Figuren reden aneinander vorbei, übereinander, gegeneinander, aber eigentlich nur selten miteinander, es findet keine wirkliche Kommunikation statt, weil sie dazu gar nicht in der Lage sind. Sie sagen fast nie das, was sie meinen, verwenden Floskeln, leere Phrasen, einstudierte Gesten und Formulierungen, einen ihnen eigentlich fremden „Bildungsjargon“, mit dem sie eine Fassade der für Horvath typischen kleinbürgerlichen Moral aufbauen möchten, hinter der sich vor allem Egoismus, Borniertheit, Scheinheiligkeit und auch latente Gewalt verbirgt, die von Horvath immer wieder deutlich zum Ausdruck gebracht wird.
Sie nehmen keine Rücksicht aufeinander, beleidigen und verletzen sich, jeder ist sich selbst der Nächste Der Autor demaskiert diese Scheinmoral am Beispiel von Wiener Kleinbürgern, die in einer Straße im 8.Bezirk zusammen leben und die alles zwar typische Figuren der damaligen Zeit sind, aber mit geringen Veränderungen jederzeit austauschbar.
Darauf legt der Regisseur auch großen Wert, die Emotionen und Verhaltensweisen, die Handlung und die Typen sind eigentlich zeitlos. Der Text hat nie an Aktualität verloren.
Natürlich sind es Figuren aus dem Wien des frühen 20.Jahrhunderts, nach Ende der K.u.K-Monarchie, gezeichnet von der Wirtschaftskrise und im Zeichen des heraufziehenden Nationalsozialismus, vor dem auch Horvath, der in Ungarn als Diplomatensohn das Licht der Welt erblickte, zunächst nach Wien und später nach Paris fliehen musste, wo sein Leben dann viel zu früh mit gerade mal 37 Jahren unter tragischen Umständen zu Ende ging. Er wurde bei einem Spaziergang während eines Gewitters auf der Champs-Elyseées von einem herabstürzenden Ast erschlagen.
Die Hauptfiguren, das sind das süße naive hübsche Wiener Madl Marianne (Maike Nortmeyer), ihr Vater, der „Zauberkönig“ (Michael Knapp) ,der sie dem wohlhabenden Nachbarn, ihrem Jugendfreund, dem Fleischermeister Oskar (Michael Sinthern) versprochen hat, dem sie aber am Tag der Verlobung in die Arme des rücksichtslosen Hallodris Alfred (Marcel Pinter) entflieht, der sie verführt und von dem sie dann ein nicht gewolltes Kind bekommt.
Von da an nimmt das Schicksal seinen unaufhaltbaren Lauf. Mariannes Weg ganz nach unten bis zur Erotiktänzerin in einem zwielichtigen Varieté, wo sie vom Vater entdeckt und endgültig verstoßen wird und schließlich als vermeintliche Diebin im Gefängnis landet. Der „Mister“, ein mit Dollars um sich werfender Exil-Wiener (Edgar Guschewski), zeigt sie an, weil sie sich nicht als Prostituierte kaufen lässt. Der Rittmeister (Matthias Heckmann) ist ein Überbleibsel der Monarchie, ein Wiener Charmeur der alten Schule, der sich mit dem strammen deutschen Jurastudentin und Nazi-Sympathisanten Erich (Alexander Schweiß) anlegt. Der Hierlinger (Oliver Wanek) ist ein windiger Bursche und Alfred Spezi. Die Trafikantin Valerie (Jelena Bruderus) hält sich wechselweise Alfred und Erich zum bezahlten Gespielen und draußen in der schönen beschaulichen Wachau leben Alfreds Großmutter (Christa Krieger) und deren bemitleidenswerte Tochter, die Mutter (Ute Zuber) und hier beginnt und endet dieses Drama auch bei Walzermusik auf der Zither, den „Geschichten aus dem Wienerwald“.
Bis zum Ende mysteriös bleibt die schöne elegante und stumme Baronin ( sehr ausdrucksstark mit geradezu magischem Blick Conny Bundschuh), die sich stets im Hintergrund hält, eine Art Schicksalsgöttin, die immer auftritt, um der Handlung scheinbar eine entscheidende Wendung zu geben. Diese faszinierende stumme Rolle wurde von Regisseur Markus Muth eigens hineingeschrieben, der auch hier dem Publikum jede Freiheit der eigenen Interpretation überlässt. Großes Kompliment auch an die weiteren Ensemble-Mitglieder Angelika Heuer (Tante), Havlitschek (Markus Lampert) ,Stella Schuler (Tanzgirl und Emma), Sarah Dallinger (Tanzgirl), Stefanie Szonn (Bedienung) und an alle Aktiven hinter den Kulissen des bewusst stilisierten schwarzen Bühnenbildes, um auf keinen Fall von den Dialogen und der Handlung abzulenken.
Die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ im Zimmertheater der Freilichtbühne sollte man sich als Theaterfreund auf keinen Fall entgehen lassen. Das außergewöhnliche sehr sehenswerte Stück läuft noch bis zum 17.Dezember. Viel Vergnügen!

Text und Fotos: Dieter Augstein