Weinheim schließt die letzte Lücke

LPWDie Lern-Praxis-Werkstatt als Angebot für Arbeitssuchende ohne Qualifikation nimmt ihren Betrieb auf – Viele Kooperationspartner

Weinheim/Rhein-Neckar-Kreis. Sie haben keine Ausbildung, keinen Job, keine Perspektive. Es gibt Menschen, die seit dem Herbst 2015 nach Deutschland geflohen sind, denen steht nicht einmal ein Sprachkurs zu, je nach Herkunftsland. Auch in den Schulen werden sie abgewiesen. Sie haben nichts – außer Frust und Langweile. Sie fallen bislang durch eine Lücke im Bildungs- und Ausbildungssystem.
Diese Lücke füllt jetzt eine Lern-Praxis-Werkstatt in Weinheim. Dort werden jene Personen (mit oder ohne Flüchtlingshintergrund) ein niederschwelliges Beschäftigungsangebot erhalten, um später doch noch auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können. Die Werkstatt, die von einem Sozial- und einem Arbeitspädagogen betreut wird, ist jetzt in einer ehemaligen Werkshalle der Weinheimer Firma Naturin eingerichtet worden, die offizielle Einweihung fand am Donnerstag (19. Juli) statt.
Die Ausstattung stammt von der ebenfalls in Weinheim ansässigen Firma Freudenberg. Beides wird dem Projekt von den Unternehmen kostenlos zur Verfügung gestellt.
Insgesamt ist die Lern-Praxis-Werkstatt ein Kooperationsprojekt mit vielen Partnern. Die Stadt Weinheim, die Jugendagentur Job Central und der Rhein-Neckar-Kreis als Projektträger werden außerdem von der Freudenberg-Stiftung, der Mahle-Stiftung und der Volksbankstiftung Weinheim unterstützt. Die fachliche Leitung liegt bei Jürgen Ripplinger, dem Bildungskoordinator der Stadt Weinheim sowie bei seinem Kollegen im Landratsamt, Dr. Rolf Hackenbroch. Das Projekt wird eng von einem ehrenamtlichen Arbeitskreis begleitet.
In der Werkstatt arbeiten jeweils zwölf bis 15 Personen in verschiedenen Projekten, um kreativ zu sein, ihren Alltag zu strukturieren und dabei die Anforderungen von Berufstätigkeit kennenzulernen. Es kann dabei um Holz- oder Metallarbeiten gehen, um Malerarbeiten, Gartentätigkeiten, aber auch um soziale Projekte. Die Pädagogen am Arbeitsplatz wollen dabei nicht nur fachliche Kenntnisse vermitteln, sondern auch Fähigkeiten wie Zuverlässigkeit, Arbeitsgenauigkeit und Teamfähigkeit. Das Werkstatt-Projekt ist zunächst auf drei Jahre angelegt; pro Jahr sollen rund 60 Personen einen Kurs besuchen können.
„Als Bildungsregion Weinheim verstehen wir uns als lokale Verantwortungsgemeinschaft für die gemeinsame Gestaltung gelingender Bildungsbiografien unserer Kinder und Jugendlichen“, so beschrieb Weinheims Oberbürgermeister Heiner Bernhard bei der Einweihung die Einordnung in die ohnehin schon sehr umfassende Weinheimer Bildungslandschaft. . Mit der strategischen Ausrichtung der sprichwörtlichen „Weinheimer Bildungskette“ habe die Stadt seit über zehn Jahren verschiedene Bausteine zur Unterstützung junger Menschen an den Übergängen und insbesondere am Übergang von der Schule in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt entwickelt. Der OB verwies auf starke Bildungspartner und betonte: „Dabei wissen wir die Freudenberg Stiftung an unserer Seite und haben etwa im Weinheimer Bündnis für Ausbildung eine Kooperation mit wichtigen Betrieben und Arbeitgebern hier in Weinheim vereinbart.“
Christoph Schauder, Dezernent für Ordnung und Gesundheit im Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises, erinnerte daran, dass der Kreis in den Jahren 2015 bis 2017 mehr als 7000 Geflüchtete aufgenommen hat. Schauder konnte ganz aktuell auf ein Integrationskonzept verweisen, das erst zwei Tage zuvor vom Kreistag offiziell verabschiedet worden war. Darin sei ein Leitfaden der Integration in ganz unterschiedlichen Handlungsfeldern definiert: Eine besondere Bedeutung komme dabei dem Bereich Ausbildung und Arbeit zu. Hier benenne das Integrationskonzept als besondere Aufgaben unter anderem niederschwellige Qualifizierungsmaßnahmen zur Aufnahme von Ausbildung und Arbeit. Die Lern-Praxis-Werkstatt stehe dafür, Potenziale zu entwickeln, zu nutzen und zu fördern - „und zwar unabhängig davon, mit welchen Kenntnissen und Arbeitsprofilen jemand zu uns gekommen ist und hier lebt“.
Ante Rasic, der Leiter der Lern-Praxis-Werkstatt und Dr. Rolf Hackenbroch, Bildungskoordinator der Stabsstelle Integration des Rhein-Neckar-Kreises berichteten von den Anfängen der Idee, die aus den Erfahrungen von ehrenamtlichen Projekten der Arbeitsgruppe Berufsintegration entstanden ist. Schon zu Beginn des Jahres 2017 sei in vielen Sitzungen von einer Lern-Praxis-Werkstatt die Rede gewesen.
Diese Projektarbeit“, erklärte Arbeitsgruppensprecher Dr. Ditmar Flothmann, „kann nun verstetigt und systematisiert werden“. Uwe Seehaus und Dr. Rainer Kuntz als Ausbildungsverantwortliche der Firmen Naturin und Freudenberg verwiesen auf die Tradition, die Berufsbildung- und Berufsorientierung am Standort Weinheim besitzt. Beide gehören auch dem „Bündnis Ausbildung“ an, Dr. Rainer Kuntz leitet auch den ehrenamtlichen Unterstützerkreis Berufsstart. Worauf es bei dem Projekt ganz wesentlich auch ankommt, erklärt Sarah Fuchs für die Geschäftsführung der Freudenberg Stiftung: „Besonders wichtig erscheint uns dabei, die im Herkunftsland und auf der Flucht erworbenen Kompetenzen aufzugreifen und für eine bessere Zukunft zu nutzen.“