„Unsere Jungs dürfen bleiben“ - Flüchtlingshilfe der besonderen Art: Im Weinheimer Ortsteil Lützelsachsen halten die Helfer vor Ort freiwillig an einer Unterkunft fest

K1024 Winzerhalle bleibtWeinheim. So herum geht es auch: In Lützelsachsen, einem Stadtteil von Weinheim an der Bergstraße, geben ehrenamtliche Helfer ihre Flüchtlinge nicht mehr her. Als am Freitagmorgen bekannt wurde, dass rund 120 junge Männer bis auf Weiteres in der „Winzerhalle“ mitten im Ort bleiben können, wurde diese Nachricht bei den Helfern und weiteren Betroffenen der Hallenbelegung sogar laut bejubelt. „Unsere Jungs dürfen bleiben“, hieß es erfreut in der Facebook-Gruppe, in der ansonsten Hilfseinsätze wie Fahrdienste und Deutschunterricht besprochen werden. Helfer und Flüchtlinge, die meisten aus den Kriegs- und Krisengebieten in Syrien, dem Irak und Afghanistan, lagen sich in den Armen.

Dabei hatte der Rhein-Neckar-Kreis, der für die Unterbringung in der Gemeinschaftsunterkunft zuständig ist, angeboten, die Winzerhalle bis Mitte des Monats zu räumen und an die Stadt und den Hauptnutzerverein, die TSG Lützelsachsen, zurückzugeben. Die 120 Männer hätten auch in eine große Sammelunterkunft umziehen können, die der Kreis mittlerweile in Sinsheim in einer Industriehalle eingerichtet hat. Das wollte man aber in Lützelsachsen nicht mitmachen. Vielmehr wollen die ehrenamtlichen Helfer weiter an der Integration „ihrer Jungs“ arbeiten. Jetzt, wo schon so viel geschafft war.
Weinheims Oberbürgermeister Heiner Bernhard zeigte sich begeistert angesichts des Elans und der Zivilcourage der Bürger im situierten 5000-Einwohner-Ortsteil, dem größten der Großen Kreisstadt: „Eine sagenhafte Entwicklung.“
Denn als im Herbst 2015 die 120 Männer in Lützelsachsen einquartiert wurden; war auch dort die Stimmung erst skeptisch. Der Sportverein TSG musste mit Trainingsstunden ausweichen, der Heimatverein bangte um den Standort für sein Winzerfest. Aber die Stimmung hat sich im Laufe der letzten Monate grundlegend geändert. Ein ganzes „Standort-Team“ aus Ehrenamtlichen kümmert sich fast rund um die Uhr um die Bewohner der Halle. Es werden „One-World-Cafés“ organisiert, private Treffen, Sprachunterricht, Arzttermine, Kinobesuche; auch der Sportverein und der Heimatverein bringen sich jetzt ein. Die benachbarte Kirchengemeinde und die Pfadfinder stellen Räume zur Verfügung. „Da ist eine optimale Infrastruktur entstanden“, freut sich die Weinheimer Flüchtlingsbeauftragte Ulrike Herrmann, die das ehrenamtliche Engagement koordiniert.
Dabei waren und sind die Bedingungen in der Winzerhalle alles andere als freundlich. Die Männer schlafen auf Feldbetten, die Bereiche sind durch abgehängte Bauzäune getrennt. Die Halle ist nicht isoliert und die Heizung fällt oft aus. Es gab Nächte, da organisierten die ehrenamtlichen Helfer mobile Heizanlagen. Als das ungewohnte Essen der Verpflegungsfirma nicht ausreichte, veranstalteten sie gemeinsame Kartoffel-, Pizza oder Döner-Essen, im Dezember kochten alle gemeinsam ein Weihnachtsmenü. Die Lage schweißte sie zusammen. Die Flüchtlinge revanchierten sich dankbar mit eigenen Aktionen. Erst am vergangenen Wochenende verteilten sie vor einem Supermarkt Pralinen an Passanten, um sich für die Gastfreundschaft zu bedanken.
Eigentlich war der Aufenthalt der 120 Flüchtlinge bis zum 14. Februar begrenzt. Aber sowohl der Rhein-Neckar-Landrat Stefan Dallinger als auch Weinheims Oberbürgermeister Heiner Bernhard wollten die Akteure im Ortsteil selbst entscheiden lassen. In dieser Woche berief Ortsvorsteherin Doris Falter eine Sitzung ein, um die Stimmung abzufragen: Das Standort-Team war dabei, die Vertreter der Vereine und Kirchen, Anwohner und Abgeordnete der Ortspolitik ebenso Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner. Das Ergebnis war eindeutig: Einstimmig fürs Bleiben in Lützelsachsen.