OB Steinruck: „Wir brauchen einen neuen gesellschaftlichen Dialog“

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Aufgrund der kontinuierlich gesunkenen Sieben-Tages-Inzidenzwerte bei den Corona-Infektionen im Stadtgebiet lockert Ludwigshafen die zuvor geltenden Einschränkungen zur Bekämpfung der Pandemie. Die Lockerungen orientieren sich ab Donnerstag, 3. Juni 2021, am Perspektivplan Rheinland-Pfalz sowie der ab 2. Juni 2021 geltenden jüngsten Landesverordnung. „Wir sind sehr froh darüber, dass die Inzidenzzahlen auch in Ludwigshafen nun kontinuierlich sinken. Mein Dank gilt allen, die dazu ihren Beitrag geleistet haben und leisten. Allen, die nun wieder öffnen können, wünsche ich einen guten Start. An die Bürger*innen appelliere ich, sehr bewusst mit den Lockerungen und neuen Regeln umzugehen, um unsere wiedergewonnenen Freiheiten zu schützen“, erklärt Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck.
Die Stadtverwaltung hat sich, so die Oberbürgermeisterin, sehr intensiv mit dem zurückliegenden Infektionsgeschehen und den teilweise hohen Inzidenzen auseinandergesetzt. „Gerade in der Anfangszeit waren wir teilweise sehr streng mit den Einschränkungen, da mussten wir hart mit dem Land verhandeln und waren mit bei den ersten, die eigene Allgemeinverfügungen erlassen hatten. Andere folgten unserem Beispiel. Nicht zuletzt mit der Bundesnotbremse kamen für uns – und das ist überhaupt keine pauschale Kritik, sondern ich spreche hier nur die Situation in Ludwigshafen an – tatsächlich Lockerungen gemessen am damaligen Infektionsgeschehen, die nicht förderlich waren. Als Stadt hatten wir zur Bewältigung individueller oder lokaler Besonderheiten aber keinen Spielraum mehr. Insofern sollte auf allen politischen Ebenen noch einmal darüber diskutiert werden, welche Möglichkeiten man Kommunen in solchen besonderen Lagen einräumt und diese natürlich auch entsprechend mit allen notwendigen Ressourcen dafür ausstattet“, regt die OB einen konstruktiven Austausch zu den Corona-Maßnahmen an. Lokale Besonderheiten, die das Pandemiegeschehen negativ beeinflusst haben, sieht Jutta Steinruck vor allem in der Sozialstruktur der Stadt, den teilweise engen innerstädtischen Sozialräumen sowie der hohen Fluktuation von Menschen. „Wenn man die vergangenen Wochen und Monate mit etwas Abstand betrachtet, kann man durchaus zu dem Schluss kommen, dass die Pandemie Probleme, die bereits davor bestanden, noch einmal in ein sehr grelles Licht gerückt hat. Aus meiner Sicht sind dies 1. die sozialpolitischen, baulichen, infrastrukturellen Auswirkungen globalen Wirtschaftens, 2. das massive Missverhältnis, das entsteht, wenn Kommunen staatliche Aufgaben wie beim Kommunalen Vollzugsdienst übernehmen müssen, ohne dafür ausgestattet zu werden – Stichwort: Konnexität und Nachhaltigkeit im politischen Handeln über alle Ebenen, 3. die schwierige Herausforderung gelingender sozialer Integration in sich wandelnden Städten sowie 4. die Fragmentierung unserer Kommunikation. Ich denke, das sind alles Themen, die wir bei der Aufarbeitung der Pandemie unbedingt diskutieren müssen“, so die OB.
Um die lokalen Besonderheiten zu verstehen, lohne es, so Steinruck einen kurzen Blick auf die Entwicklung der Stadt zu werfen. Ludwigshafen sei ein bedeutender Standort der chemischen Industrie, die das Stadtbild entscheidend präge.
Nach den Zerstörungen des Krieges sei teilweise eine sehr dichte, enge Wohnbebauung entstanden, und selbstverständlich habe die verarbeitende Industrie mit ihrem Bedarf an Arbeitnehmer*innen die Sozialstruktur ganz erheblich geprägt. „Das sind gewachsene Strukturen, die Ludwigshafen aber besonders machen, also von anderen Städten, die wirtschaftlich und sozial diverser – oder einfach durchschnittlicher – sind, abheben“, erläutert die OB. Die hohe Mobilität der Ein- und Auspendler*innen sowie hohe Fluktuationen durch Mitarbeiter*innen von Subunternehmen machten das Pandemiegeschehen zudem schwer steuerbar. Auf der anderen Seite könne Ludwigshafen als durchschnittlich große Stadtverwaltung mit den vorhandenen personellen Möglichkeiten und im vorgegebenen rechtlichen Rahmen die Einhaltung der Pandemieregeln in diesem Ausmaß nicht ausreichend kontrollieren. Auch die Kommunikation und Informationsvermittlung seien große Themen. Einerseits gelte es, Sprachbarrieren zu überwinden, andererseits stoße die Verwaltung an ihre Grenzen, wenn Menschen nur in engen Communities oder Social Media-Blasen kommunizierten.
In der aktuellen politischen Debatte um die Inzidenzzahlen wirbt Steinruck für einen einerseits selbstkritischen, aber auch zukunftsgewandten gesellschaftlichen Dialog: „Ich bin mir sicher, jeder und jede, der oder die in diesen schwierigen vergangenen Monaten politische Verantwortung getragen hat und trägt, hinterfragt sich selbst. Wir brauchen diesen Prozess der Selbstreflexion, aber genauso braucht es jetzt einen politischen Dialog mit den Bürger*innen, mit der Wirtschaft, mit den unterschiedlichen Interessensgruppen zu Fragen wie: Welche Lehren ziehen wir als Gesellschaft aus dieser Pandemie und wie wollen wir künftig leben? Wie gehen wir mit den Folgen der Pandemie um – den sozialen und wirtschaftlichen, denen für die Kinder und Jugendlichen, für die Familien, denen für unsere Arbeitswelt oder unser Gesundheitssystem? Wie hat die Pandemie unser Leben verändert und was verstehen wir unter ‚zurück zum normalen Leben‘? Darüber würde ich gerne diskutieren und auch politisch streiten. Wir müssen Vergangenheit bewältigen und wir müssen den Blick nach vorne richten als kritische und dialogfähige Gesellschaft.“