Wo die letzten Hippies leben : Jerome Arizona

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Wolf Goldschmitt

wolf h. goldschmitt

„Was, sie wollen nach Jerome zu den Spinnern?“ Der Tankwart schaut argwöhnisch. Mit seinem staubigen Cowboyhut im Genick wirkt der alte Kauz wie John Waynes Opa. Man sieht es ihm an der Nasenspitze an, die Leute oben auf dem Berg kann er nicht leiden. Die sonderbaren Typen aus dem ehemaligen Kupfermekka Arizonas passen einfach nicht ins Bild vom sauberen Landleben. „Alles Faulenzer, ausgeflippte Hippies“, knurrt er mürrisch, während die Tankuhr rhythmisch klingelt.
Wie der Griesgram aus Cottonwood denken viele im Verde Valley, 120 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Phoenix. Und jene Künstler und Vagabunden, die seit den 70ern einer Geisterstadt namens Jerome wieder Leben einhauchen, wissen aus eigener Erfahrung, warum sie nur selten ihr Dorf verlassen. Allzu oft hat‘s schon Ärger gegeben mit den Rednecks, der schweigenden, stockkonservativen Mehrheit des Grand-Canyon-Staates.
Der Highway 89 A flimmert in der gnadenlosen Mittagshitze, 100 Grad Fahrenheit, rund 40 Grad Celsius, zeigt das Thermometer. Bestimmt Fake-News, es muss heißer sein. Das T-Shirt klebt trotz Aircondition im Mietwagen. Vorwärts, irgendwohin, wo Schatten ist. Der nächste kühle Flecken wartet in irgendeinem Saloon zehn Meilen bergauf zwischen den verfallenen Häusern der ehemaligen Geisterstadt Jerome.
Als dort vor über 140 Jahren die ersten Siedler anrücken, entdecken sie Kupfer, ein damals rares Element. Nach und nach folgen über 15 000 Kumpel dem Ruf des schnellen Geldes und kommen zum Bergdorf, das in einer Höhe von 1600 Meter oberhalb des Tales liegt. Sie schürfen in wenigen Jahrzehnten Kupfer im Wert von einer Milliarde Dollar. Und mit ihnen die Profiteure des eintönigen Lebens in den Minen. Über ein Dutzend Bordelle machen ihre guten Geschäfte, 100 Saloons und einige Opiumhöhlen sorgen für Zerstreuung der einsamen Männer. Als 1953 die letzte Mine schließt, weil billiges Kupfer aus Südamerika den Markt überschwemmt, sind von heute auf morgen die fetten Zeiten vorbei. Bald leben kaum noch 100 Menschen in Jerome. Eine weitere Geisterstadt im Westen ist „geboren“. Etwa 100 Menschen bleiben und versichern, dass es dort tatsächlich spukt. Besonders Sammy, eine ermordete Prostituierte heult der Legende nach nachts im Ghost City Hotel. Im Jerome Grand Hotel, eines ehemaligen Hospital für die Kumpel, soll in Zimmer 32 sogar der Geist eines erschossenen Revolverhelden sein Unwesen treiben.
Das Städtchen zu Füßen des Mingus Mountain mit seinem weithin sichtbaren überdimensional "J" am Berghang dämmert bis Ende der 60er vor sich hin. Bis die ersten Hippies aus San Francisco dieses Eiland für sich entdecken, nachdem ihr Traum von freier Liebe ausgeträumt war. Jerome bietet ein Refugium für die Außenseiter der Gesellschaft. Auch eine "Gay Community" etabliert sich rasch. Ganze Häuser kosten damals ganze 50 Dollar Jahresmiete. Im Laufe der Jahre wächst die Kolonie. Heutzutage leben in Jerome ruhige Künstlertypen, die zufrieden sind, wenn sie malen oder Musik machen. Manche haben verfallene Bruchbuden der Minengesellschaft aufgemöbelt und zum Tonstudio oder zum Bed & Breakfast umgebaut. Andere bieten Antiquitäten aus der Kupferrauschzeit Antiquitäten aus der Kupferrauschzeit an. Und die Zahl der Touristen und finanzkräftigen Biker steigt jährlich. Die meisten kommen nach ihrem Pflichttrip in den weltbekannten Red Rock Nationalpark der New-Age-Metropole Sedona auf einen Abstecher nach Jerome.
Wer weder Shop noch Talent besitzt, verdient seinen Lebensunterhalt mit profaner Arbeit. Zum Beispiel als Angestellter der Stadt. Der Gemeinderat, natürlich allesamt Hippies oder Aussteiger, lässt seine Gesinnungsgenossen nicht im Regen stehen. Ein paar Leute sind für die lebenswichtigen Wasserquellen verantwortlich und leiten die Pumpstation vorbildlich. Andere packen bei der städtischen Müllabfuhr mit an oder sorgen mit einem historischen Gefährt für den Feuerschutz. Die Kommune hat eigentlich immer genügend Teilzeitjobs für jene, die in Geldnot kommen. Sogar Imker werden beschäftigt, um den Bestand der nützlichen Insekten zu sichern. Auf der Homepage der Stadtverwaltung steht:" Bitte tötet keine Bienen. Ruf unsere Imker an".
Wie lange diese Insel der Freidenker in der Wüste Arizonas noch so existiert, weiß keiner. Zumindest einen eigenen Kindergarten gibt es inzwischen wieder in der Kommune, wo heute wieder 400 Menschen wohnen. „Aber niemand kann vorhersagen, ob nicht schon morgen manche Wandervögel wieder ausfliegen, wenn ihnen der Tourismus über den Kopf wächst, spekuliert Bürgermeister Dave Davis. Aber mit Blick auf die turbulente Geschichte Jeromes philosophiert er weiter: "Hier oben sollte man wirklich auf alles gefasst sein. Vielleicht sogar darauf, dass eines Tages der Preis des Kupfers in die Höhe schnellt, die Minen sich plötzlich wieder lohnen und alte Förderbänder zu neuem Leben erwachen."

Infokasten:

Anreise: Der Flug nach Phoenix ab Frankfurt mit einem Zwischenstopp kostet bei Lufthansa ab 860 €. Mit Mietwagen nach Jerome dauert es rund zwei Stunden. Condor bietet einen Direktflug nach Las Vegas ab 830 €. Mit Mietwagen von Las Vegas über Kingman nach Jerome fährt man rund vier Stunden, einige Meilen sogar entlang der alten Route 66. Wer diesen Weg wählt, hat auch Gelegenheit zum Abstecher an den Grand Canyon.

Schlafen und Essen

Hotels/Bed&Breakfasts:
Das Jerome Grand Hotel liegt oberhalb der Stadt. Doppelzimmer ab 150 €, Tel (928) 634-8200, www.jeromegrandhotel.net.
Das Ghost City Inn liegt direkt an der Hauptstraße, garantiert aber nachts Ruhe. Doppelzimmer ab 130 €, www.ghostcityinn.com, Tel. (928) 634-4678, www.ghostcityinn.com.

Restaurants

Der Haunted Hamburger, Tel. (928) 634-0554, bietet typische US-Kost, aber manchmal auch Klapperschlange. "The Asylum" im Grand Hotel, Tel (928) 639-3197, ist ein beliebtes Gourmetlokal, Reservierung notwendig.
Sehenswürdigkeiten:

Die Gold King Mine, das Herrenhaus Douglas und das Historische Minenmuseum. Wer es besonders gruselig mag, kann für 65 € eine nächtliche Geistertour buchen. Dieser Spaziergang erfordert allerdings gutes Schuhwerk wegen möglicher
Skorpione oder Klapperschlagen, die sich unter manch altem Gemäuer wohl fühlen und Kondition. Mehr als 30 Galerien in der kleinen Innenstadt verkaufen alles von indianischer Kunst bis zum Touristenkitsch.