Mannheim.
Diese majestätische Aussicht wird er vermissen. Aus dem 9. Stockwerk seines Dezernats blickt Lothar Quast gewissermaßen auf sein Lebenswerk. Und es sind zahlreiche markante Gebäude, die während seiner Ära aus dem Boden gewachsen sind. Am Silvestertag kann der dienstälteste Bürgermeister der Stadt Mannheim ein letztes Mal das Panorama genießen.
Vier Amtszeiten ohne Affären zu überstehen, das schaffen heutzutage nicht mehr viele Politiker. Wenn Lothar Quast sein Büro im Collini-Center "besenrein" - wie er betont - verlässt, geht eine 32jährige, skandalfreie Zeit zu Ende. Unaufgeregtes, sachliches Auftreten gepaart mit westfälischer Lebensart sind Kennzeichen des gelernten Juristen. Und dieser verstandesbetonte Stil hat ihm, dem überzeugten Sozialdemokraten, über das gelegentlich recht schlüpfrige Parkett der Kurpfälzer Kommunalpolitik geholfen.
Der ehemalige SPD-Oberbürgermeister Gerhard Widder hat die Stärken des jungen, frisch zugezogenenJustitiars schnell erkannt und ihm bei seinem rasanten Aufstieg ordentlich Rückenwind gegeben. Rasch steigt Quast zum Persönlichen Referenten des OB auf und nur ein Jahr später boxt Widder den 33jährigen Newcomer gegen heftigen Widerstand der ortsansässigen "Architektenfamilie" als seinen Baubürgermeister durch.
Auch in der SPD steht dem frischgebackenen Familienvater eine steile Karriere bevor. Der stille Fleißarbeiter, der geschickt und beharrlich stets den Kompromiss sucht, wird für acht Jahre Kreisvorsitzender einer Partei, die damals noch 4000 Mitglieder zählt. Er spielt damals sogar mit dem Gedanken, für den Bundestag zu kandidieren. Doch die Genossen favorisieren einen anderen - den Falschen wie sich später herausstellt. Geschick beweist Quast auch, als er sich aus dem internen Duell von Kulturbürgermeister Peter Kurz und dem ehrgeizigen SPD-Fraktionschef Frank Mentrup um den Oberbürgermeisterposten heraushält, obwohl er als heißer Kompromisskandidat gehandelt wird.
Wer den Beigeordneten für den Geschäftskreis Planung, Bauen, Verkehr und Sport - wie es im schönsten Behördendeutsch heißt - in seinem Dienstzimmer besucht, kommt unweigerlich an einer außergewöhnlichen Sammlung vorbei. Dutzende Spaten säumen den Weg in Richtung Schreibtisch. Sie erzählen von Großprojekten seiner langen Amtszeit. Von der Eröffnung des Carl-Benz-Stadions, dem Rheinauer Hafen, der Neugestaltung des Bahnhofvorplatzes, der Quartierentwicklung im Jungbusch mit Musikpark und Popakademie und einem seiner "Lieblingskinder": der SAP Arena.
Quast würde nie damit prahlen, aber der Stadtentwickler kann eine stolze Bilanz vorweisen. In seine Ägide fallen umweltpolitische Großtaten wie die Tempo-30-Zonen in Wohngebieten und die flächendeckende Einführung von Biotonnen und später Papiertonnen. "Die Umgestaltung der Planken fällt in meine letzte Amtszeit, ebenso die Neue Kunsthalle, das Glückstein-Quartier und nicht zuletzt die Entwicklung der Konversionsflächen mit Blick auf die Schaffung von Wohnungen und die BUGA 2023", erzählt der scheidende Chef bescheiden wie immer, wenn es um seine Person geht.
Nun hat Lothar Quast mehr Zeit, endlich alle die Bücher zu lesen, die sich im heimischen Arbeitszimmer seines Häuschens auf der Rheinau stapeln. Er wird mehr Zeit für Frau und die beiden erwachsenen Kinder haben, vielleicht auch öfters mit dem Hund unterwegs sein. Am Wochenende jubelt er - sobald es wieder möglich ist - als bekennender Fan des SV Waldhof in jenem Stadion, das er als Sportbürgermeister selbst eingeweiht hat. Und noch etwas steht ganz oben auf der Pensionärsliste: mehr Musik zu hören. Klassik würde man vermuten. Weit gefeht. Sein Lieblingssong heißt „Keep on running“, ein Ohrwurm der Spencer Davis Group aus den 60er Jahren. Wie man sich täuschen kann. Von wegen spröder Westfale.
Wolf H. Goldschmitt