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Stellungnahme der BI Waldhof-West zur Betriebsschließung der Spiegelfabrik

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(Foto: Geoportal Stadt Mannheim)

"Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn man sich unter den Anwohnern im Stadtteil Luzenberg umhört, kommt die Nachricht über die Schließung der Produktion in der Spiegelfabrik nicht unerwartet. Schon vor Corona war es doch bei unserem Nachbarn buchstäblich ruhig geworden. Die sonst oft für Beschwerden sorgenden Betriebsgeräusche, vor allem in der Nacht, waren deutlich zurückgegangen. Auch wurde von internen Kennern eine Entscheidung über den Neubau der Schmelzöfen schon lange erwartet, war dessen Laufzeit doch schon längst erreicht.

Das heißt aber nicht, dass uns die Meldung der Schließung und der damit verbundenen Abbau der Arbeitsplätze nun nicht doch schwer getroffen hat, handelt es sich bei der „Spiggl“ in unserem Stadtteil doch um DAS Unternehmen, aus dem heraus unsere Stadtteile Waldhof und Luzenberg gegründet wurden. Viele der heute noch in Waldhof, Luzenberg und Gartenstadt ansässigen Familien, leben heute nur hier, weil Ihre Vorfahren aus dem weiten Umland in der Glasproduktion auf dem Waldhof Lohn und Brot fanden. Trainerlegende Seppl Herberger war vielleicht der Bekannteste davon. Mit dem nun beschlossenen Ende der Glasproduktion endet also nun nicht nur ein Kapitel Industriegeschichte in Mannheim, für uns im Stadtteil endet damit eine Ära im Zusammenleben mit der Spiegelfabrik, mit all Ihren Konsequenzen, die die Nachbarschaft mit sich brachten.

Leider hatte sich das Unternehmen schon seit Jahren emotional von seinem Standort verabschiedet. Das Betriebsgelände wurde in den Nachkriegsjahren eingezäunt und trennte seitdem die historisch zusammen gehörenden Stadtteile Waldhof und Luzenberg. Alle Unternehmensentscheidungen wurden nur noch in Aachen und Paris getroffen, eine offene Kommunikation mit den Anwohnern oder politischen Vertretern im Stadtteil fand kaum noch statt. Entsprechend befremdend waren auch die Verkaufsabsichten von Grundstücken die zu den bekannten Irritationen in den letzten Jahren geführt haben, bevor sich die Stadt Mannheim dazu durchringen konnte, über einen Bebauungsplan Kontrolle über die Entwicklung auf den Firmengelände zu bekommen.

Der im März 2020 vom Gemeinderat beschlossene Bebauungsplan wurde ursprünglich aufgrund der Veräußerungen bzw. Veräußerungsabsichten der Fa. St. Gobain von lediglich ca. 5,5 Hektar ihres Betriebsgeländes erstellt. Nach dem Entschluss zur Stilllegung der Produktion werden wir nun über eine 39 Hektar, großflächig begrünte Gesamtfläche inmitten unserer Stadtteile sprechen müssen. Leider ist nun wieder zu befürchten, dass sich Investoren schnell das enorme Potential des Gesamtgeländes (z.B. erstreckt sich das Gelände einen halben km am Altrhein entlang) sichern wollen. Wir hoffen allerdings, dass sich die Stadt Mannheim nach den Vorkommnissen im Februar der Verantwortung gegenüber den Bewohnern im Stadtteil nun bewusst ist und eine Kontrolle über die Entwicklung des Gesamtgebietes behält.

Aufgrund der enormen Schadstoffbelastung des Betriebsgeländes ist es für uns durchaus auch denkbar, dass der Konzern nach Schließung buchstäblich erst einmal Gras über das Gelände wachsen lassen will. Als Bewohner des Stadtbezirks, die seit Generationen die Belastungen der Industrie um uns ertragen haben, erhoffen wir uns jedoch, dass sich Mannheim nach der veränderten Lage nun auch zu uns und der Zukunft unserer Stadtteile bekennt. Dahingehend wird sich jetzt zeigen müssen, ob der erstellte Bebauungsplan zur Neuordnung des Betriebsgelände ausreicht, um die gegebenen Strukturen für die Stadtteile weitestgehend zu erhalten bzw. zu deren notwendigen Entwicklung zu nutzen.

Diese Entwicklung sollte aus unserer Sicht u.a. folgende, konkrete Punkte umfassen:
 - Erfassung der dringend unter Denkmalschutz zu stellende Gebäudeteile auf dem Gesamtgelände
 -  Schutz, Erhalt und Betrieb des ältesten Waldhöfer Gebäudes, der Spiegelkantine (heute Spiegelschlösse`l) als traditionsreiche   Begegnungsstätte zwischen Luzenberg und Waldhof
 - Verbunden damit die Einrichtung eines „Arbeiter- und Fußballmuseum“ oder „Industriemuseum“ im alten Reitstall (angrenzend an den Garten des Spiegelschlöss`l)
 -  Erhalt einer Schmelzofenanlage als zentrales Industriedenkmal evtl. als Außenstelle des Museums für Technik und Arbeit zur Geschichte der Glasherstellung in Mannheim.
 -  Ausweisung von großräumigen Schutzgebieten als Kaltluftschneisen und für den Tier-und Vogelschutz.
 -  Altlastenkartierung und Klärung der Bodensanierung.
 -  Entwicklung des Altrheinbogens als Naherholungsziel für die Stadtteile Waldhof-Luzenberg.
 -  Bestandschutz der auf dem Gelände befindlichen Vereinsgelände von Harmonia und Goggelrobber.
 -  Erweiterung des Schulgeländes der Waldhof/-Johannes-Gutenberg-Schule zur Ausrichtung als Ganztagsschule
 -  Dazu begleitend eine nutzbaren Freifläche zur Wiedererstellung des historischen „Sandackers“ (Spielort des SV Waldhof von nationaler Bedeutung von 1911-1923) an historischer Stelle.
 -  Fußgängerdurchgang von Waldhof-West zum Luzenberg, wenn dieser als Schulweg im angstfreien Raum sinnvoll gestaltet werden kann.

Sobald es die gesetzlichen Verordnungen wieder zulassen, wären wir sehr interessiert, wenn die Stadt Mannheim zusammen mit dem Bezirksbeirat eine öffentliche Informationsveranstaltung über den möglichen weiteren Verlauf organisieren würde."

Mit hoffnungsvollen Grüßen,
Jürgen Kurtz
Sprecher der Bürgerinitiative Waldhof-West
„Alter Waldhof“