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Zweiter Lockdown – Wie hart trifft er die Sportvereine?

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(Foto: Neuberth) Dr. Sabine Hamann - Mannheims Sportstätten sind derzeit verwaist

Unser Mitarbeiter, Wolfgang Neuberth, sprach mit der Vorsitzenden des Sportkreises Mannheim, Frau. Dr. Sabine Hamann über die aktuelle Situation der Sportvereine.

W. Neuberth: Frau Dr. Hamann, vor Kurzem haben Sie im Interview hier in der Sportwoche gesagt, der zweite Lockdown trifft die Vereine weit härter, als es der erste getan hat. Inzwischen ist dieser zweite Lockdown verlängert und sogar verschärft. Und nun?

Sabine Hamann: Ich bedauere sehr, dass in diesem neuen Bund-Länder-Beschluss die weitere Schließung von Sportanlagen und Sportangeboten undifferenziert verlängert wurde und insbesondere für Kinder und Jugendliche keine Perspektive aufgezeigt wird. Dennoch möchte ich zunächst etwas Positives erwähnen: Das Sportministerium hat zur Unterstützung von Sportvereinen und Fachverbänden die zeitliche Ausdehnung des finanziellen Rettungsschirms beschlossen, wofür wir sehr dankbar sind. Im November sind die Anträge hierfür auch schon deutlich in die Höhe geschnellt.

W. Neuberth: Kann dieser Rettungsschirm unseren Vereinen tatsächlich nachhaltig helfen?

Sabine Hamann: Er ist zunächst einmal nur der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“, aber ein wichtiger Tropfen. Sollte der aktuelle Breitensport-Lockdown allerdings fortgeführt werden, dann ist nachhaltiger Schaden für unser Vereinssystem zu erwarten. Es ist notwendig, nicht nur im aktuellen Rettungsschirm die spezifischen Rahmenbedingungen der Vereine zu betrachten, sondern die bisherigen wirtschaftlichen Nothilfen auch in eine finanzielle Förderung zur Strukturerhaltung zu überführen. Derzeit können viele Vereine (noch) gar nicht von der Sonderhilfe profitieren, weil aktuell (noch) keine Existenzgefährdung vorliegt. Der Weg dorthin zeichnet sich aber vielfach ab und man kann dies mit einem allmählichen Auszehren vergleichen. Der Fortbestand der durch innovative Sportvereine über Jahrzehnte aufgebauten Strukturen ist dadurch aktuell gefährdet.

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(Foto: Neuberth) Ob Sportplatz oder Halle - sportliche Aktivitäten sind nicht möglich

W. Neuberth: Bedeutet dies, dass aktuell viele Mitgliederaustritte zu verzeichnen sind?

Sabine Hamann: Es laufen derzeit die Mitgliedererhebungen beim Badischen Sportbund – genaue Zahlen werden wir dann Anfang des kommenden Jahres haben, dem möchte ich nicht vorgreifen. Aber wir sind natürlich in Gesprächen mit den Vereinen und hören auch die „Geschichten hinter der Geschichte“. Ein Vereinsgeschäftsführer berichtete mir vor Kurzem, dass er sich in der unschönen Situation befindet, zum Jahresende seinen Mitgliedern die Jahresrechnung stellen zu müssen – dies zu einem Zeitpunkt, an dem der Vereinssport dann zwei Monate ausgesetzt war. Zugleich kann er keine Perspektive aufzeigen, wann es mit den Angeboten wohl weitergehen wird. Denn sind wir ehrlich: nach den Weihnachtstagen und dem Jahreswechsel dürften die Inzidenzzahlen nicht niedrig sein und der Lockdown ins neue Jahr hinein ist eigentlich vorprogrammiert. Er schilderte, dass es sich einfach schlecht anfühlt, eine Rechnung für ein Nicht-Angebot stellen zu sollen, an Menschen, die sich in Kurzarbeit befinden oder aktuell selbst keine Einnahmen haben. Und das vor dem Hintergrund, dass ja auch sein eigener Arbeitsplatz bedroht ist.

W. Neuberth: Inwiefern sind im Bereich des Sports Arbeitsplätze bedroht?

Sabine Hamann: Zum einen natürlich in der Sportartikel- und Sportbekleidungsindustrie – wer kauft einen Hockeyschläger, wenn er nicht Hockey spielen kann? Aber unser Blick geht natürlich zunächst mal in die Region: Unsere Vereine haben Geschäftsstellen, haben Verwaltungsmitarbeitende, haben Trainer, Reinigungskräfte und ähnliches. Und auch wenn im Vereinssport unheimlich viel im Ehrenamt geschieht, so verdienen doch auch zahlreiche Menschen dort hauptamtlich Lohn und Brot. Wenn Vereine nicht mehr im bisherigen Umfang existieren, wird es auch nicht mehr im bisherigen Umfang Arbeitsplätze geben.

W. Neuberth: Ist der Verlust von Arbeitsplätzen das Hauptargument für Sie, den Vereinssport wieder zu öffnen?

Sabine Hamann: Nein, natürlich ist da sehr viel mehr. Es ist selbstverständlich unsere gesellschaftliche Pflicht, Kranke und Schwache zu schützen. Insbesondere zu Pandemie-Zeiten steht die Gesunderhaltung ganz zu Recht an oberster Stelle. Aber Gesunderhaltung bedeutet eben auch das Bereitstellen von Präventionsmaßnahmen. Und was wäre zur Prävention besser geeignet als der Sport? Ungeachtet der derzeit herrschenden Pandemie könnten nach Schätzungen der WHO im Jahr weltweit fünf Millionen vorzeitige Todesfälle verhindert werden, wenn Menschen körperlich aktiver seien. Der WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus sagt in den neuen WHO-Richtlinien zu körperlichen Aktivitäten: „Jede Bewegung zählt. Wir müssen uns alle jeden Tag bewegen, auf sichere und kreative Weise.“                                                                                                                                                                                      Wir haben nun allerdings die paradoxe Situation, dass eine Gesundheitskrise unter anderem dadurch bekämpft wird, dass der Gesundheitsmotor schlechthin, der organisierte Vereinssport, gestoppt wird! Es wäre wichtig, die Potenziale des Sports zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen stärker zu nutzen.

W. Neuberth: Und Sie sind der Ansicht, dass der Vereinssport geeignet und in der Lage ist, einen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie zu leisten?

Sabine Hamann: Ja, davon bin ich überzeugt! Die Vereine sind es, die dem Zusammenleben in einer Region mit ihrem breit gefächerten Engagement weit über den Sport hinaus einen Stempel aufdrücken. Sport ist ein wichtiger Bestandteil im gesellschaftlichen Leben. Im Sport und insbesondere im Verein finden Menschen Gesunderhaltung, Halt, Motivation, Perspektive und sogar, wie schon beschrieben, einen Arbeitsplatz. Durchhaltevermögen und Disziplin sind Kennzeichen des Sports und so habe ich keine Zweifel, dass die AHA-Regeln dort, wie bisher bewiesen, scharf eingehalten werden. Der Vereinssport böte eine Rückkehrmöglichkeit zu einem verantwortbaren, sicheren Sportbetrieb. Diesen kontrollierten und nachweislich bewährten Bereich geschlossen zu halten und das Sporttreiben weiter im privaten Bereich zu belassen, könnte sich kontraproduktiv auswirken, wie es aktuell auch die im Wintersport tätigen Verbände aufzeigen.

Der Wellenbrecher-Lockdown hat nicht so gewirkt wie erhofft und dennoch wurden die Maßnahmen verlängert. Wir müssen uns damit beschäftigen, dass das wohl ins erste Quartal 2021 hineinreichen wird und brauchen daher dringend die inhaltliche Auseinandersetzung mit den in den letzten Monaten detailliert ausgearbeiteten Hygiene- und Schutzmaßnahmen der Vereine und Verbände, eine differenzierte Betrachtung und damit verbunden die zeitnahe Öffnung der Vereinssportangebote.

W. Neuberth: Frau Dr. Hamann, wir bedanken uns für dieses Gespräch.