Die Festspiele Ludwigshafen 2022 07.10. bis 15.12.22

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Jeanette Bak

Intendant Tilman Gersch hat zu den Festspielen Ludwigshafen, die vom 7.10. bis zum 15.12.2022 stattfinden, eine Vielzahl bekannter Ensembles aus dem In- und Ausland einge­laden. Im Schauspiel gastieren große Bühnen aus dem deutschsprachigen Raum, darunter das Burgtheater Wien, das Schauspielhaus Zürich, das Berliner Ensemble, das Deutsche Theater Berlin und Rimini Protokoll. Aber auch der russische Starregisseur Kirill Serebrennikov mit seinem Performancetheater Outside und das Piccolo Teatro di Milano mit Emma Dantes Stück Misericordia sind unter den Gästen und versprechen internationales Flair. Tilman Gerschs Eigenproduktion von Shakespeares Macbeth vervollständigt den Reigen des Sprech­theaters.

Das Tanzprogramm der Festspiele Ludwigshafen wird 2022 und 23 von Eric Gauthier, dem Künstlerischen Leiter von Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart, und dem Kulturmanager Meinrad Huber kuratiert. Eröffnet werden die Festspiele Ludwigshafen am 7.10.2022 mit Akram Khans Tanzstück Jungle Book reimagined, in dem der Choreograph eindrucksvoll seine Vision für eine bessere Zukunft entwirft. Es folgen Gastspiele der Compañia Nacional de Danza Madrid, der Royal Danish Opera Kopenhagen, des Wiener Staatsballetts, der Carolyn Carlson Company und von Aterballetto sowie Eric Gauthiers vielbeachtetes Corona-Stück Seven Sins. Tanzperformances von Doris Uhlich und Florentina Holzinger sind ebenso dabei wie Nicole Beutlers monumentales Tanzprojekt 8:Metamorphosis und Kader Attous Hip-Hop-Tanztheater Les Autres.

Die neue Reihe Salon Populaire glänzt mit Lesungen von Navid Kermani, Daniel Schreiber, Annie Ernaux (interpretiert von Caroline Peters), PeterLicht, Leif Randt (gelesen von Jeremy Mockridge) und Katerina Poladjan. Hinzu kommen Konzerte, u.a. von der slowenischen Kult­-

band Laibach, dem Klangkünstler Hauschka und der Berliner Sängerin Masha Qrella, die ihre Thomas-Brasch-Vertonungen unter dem Titel Woanders in Ludwigshafen präsentiert. Auch eine kultur­politi­sche Diskussion ist wieder geplant.

Bürgermeisterin Prof. Dr. Cornelia Reifenberg betonte den hohen Stellenwert der Pfalzbau Bühnen als kulturelles Aushängeschild der Stadt: „Internationale Ensembles aus Österreich, Russland und Israel, Großbritannien, Italien, Spanien und einer Reihe anderer Länder versam-­

meln sich hier zu einem künstlerischen Plädoyer für das nationenübergreifende Anliegen von Kunst und Kultur: Humanität, Solidarität, Toleranz, Neugier und Offenheit gegenüber unter­schiedlichen Sichtweisen und Standpunkten.“

Intendant Tilman Gersch zog das Fazit: „Die Ludwigshafener Festspiele bieten eine unglaubliche, faszinierende Fülle an Handschriften in Tanz, Schauspiel, Performance und Konzert aus aller Welt. Macbeth wird als Eigenproduktion den Schauspielreigen eröffnen. “

 

Das Schauspielprogramm der Festspiele Ludwigshafen

Am 13.10.2022 feiert Tilman Gerschs Inszenierung von William Shakespeares Drama Macbeth Premiere. Shakespeares letzte große Tragödie erzählt auf spannungsvolle Weise die Geschichte vom steilen Aufstieg und jähen Niedergang des Feldherrn Macbeth. Sie handelt von Machtgier und Zweifeln, von innerer Zerrissenheit, Gewissensqualen, Einsamkeit und dramatischem Scheitern, von trügerischen Hoffnungen, Gewaltexzessen, phantastischen Erscheinungen und dem unvermeidlichen Sieg der Realität.

 

Anne-Marie die Schönheit heißt Yasmina Rezas neuestes Stück, das Peter Carp am Theater Freiburg als Deutsche Erstaufführung inszeniert hat. Der anrührend-komische Monolog einer alternden Diva ist ein einfühlsames Porträt einer Frau am Ende ihres Lebens, aber auch eine Hommage an all die Schauspielerinnen, die es nicht auf die ganz großen Bühnen geschafft haben. Anne-Marie wird auf Wunsch der Autorin von einem Mann, dem Ausnahmeschau­spieler Robert Hunger-Bühler, gespielt. In Ludwigshafen wird das Stück am 18.10.2022 ge­zeigt.

Bashar Murkus packendes Zwei-Personen-Stück The Museum in arabischer Sprache mit deut­schen Untertiteln bringt mit äußerster Brutalität den letzten Dialog eines nach einem terroristi­schen Anschlag zum Tode Verurteilten mit dem Polizeiinspektor, der ihn verhaftet hat, auf die Bühne. Murkus und seine Schauspieler versuchen, die Mechanismen zu verstehen, die Men­schen zu Terroristen machen. Sein Ansatz, den Attentäter nicht moralisch zu verurteilen, son­dern seine Beweggründe nachzuvollziehen, ist provokant und verstörend. Das Gastspiel des Khashabi-Theaters Haifa ist am 21.10.2022 zu sehen.

Martin Kušej inszenierte Jean-Paul Sartres Stück Geschlossene Gesellschaft am Wiener Burgtheater mit Dörte Lyssewski, Regina Fritsch, Tobias Moretti und Christoph Luser. Jean-Paul Sartres Klassiker des Existenzialismus, uraufgeführt 1944 in Paris unter der Herrschaft

der Nationalsozialisten, ist nicht nur Schlüsselwerk zum Verständnis von Sartres Philosophie

der Freiheit. Geschlossene Gesellschaft ist auch ein Stück über die Ungewissheit, über das Eingeschlossen-Sein und die Isolation, über eine veränderte Wahrnehmung von Zeit, die sich in einer zur Ewigkeit gedehnten Gegenwart bleiern über die Menschen und Dinge legt. Zu sehen am 29. und 30.10.2022.

In It’s Britney, Bitch! setzen sich die Regisseurin Lena Brasch und die Schauspielerin Sina Martens im Gastspiel des Berliner Ensembles am 7. und 8.11.2022 mit der Erfolgs- und Lebensgeschichte von Britney Spears und ihrer Wirkung als Pop-Ikone auseinander. Aus Werken verschiedener Autorinnen und der Musik von Friederike Bernhardt entstand mosa­ikhaft ein musikalisch-erzählerischer Abend. Ein Abend über unglückliche Liebe und Abhän­gigkeit, über Wahrheit und Wahrhaftigkeit im Pop, über Frauen auf der Bühne, über Väter und Töchter und über die Britney in uns allen.

In Einfach das Ende der Welt kehrt ein junger Mann nach zwölf Jahren zu seiner Familie zu­rück. Zwölf Jahre hat er nichts von sich hören lassen, ist in der Zwischenzeit zu einem erfolg­reichen Großstadtkünstler geworden und hat sich in Herz und Kopf weit von seiner immer noch in der Kleinstadt lebenden Familie entfernt. Ob Begegnung möglich ist; ob Jahre der Kontaktlosigkeit das Urteil übereinander mildern oder härter machen; ob die gemeinsam verbrachten Jahre schwerer wiegen als die Jahre der Entfernung voneinander – gemeinsam mit Maja Beckmann, Nils Kahnwald, Ulrike Krumbiegel, Benjamin Lillie und Wiebke Mollenhauer vom Schauspielhaus Zürich begibt sich Regisseur Christopher Rüping am 11. und 12.11.2022 hinein in das Drama Familie.

Was Kleists Drama Der zerbrochne Krug von 1811 zur Komödie macht, ist vor allem die Dreistigkeit, mit der hier vom Patriarchat Macht ausgeübt, Positionen gesichert und Verhält­nisse zementiert werden. Die Wahrheit zählt dabei nicht im Geringsten; stattdessen gilt es, unverfroren und skrupellos jede Verantwortung von sich zu schieben. Gestützt von einer Ge­sellschaft, die scheinheilig mitspielt, stolz auf ihr kulturelles Erbe und vollkommen überzeugt davon, im Namen der Gerechtigkeit zu handeln. In Anne Lenks bilderstarker Inszenierung vom Deutschen Theater Berlin spielt Ulrich Matthes am 26. und 27.11.2022 den Dorfrichter Adam.

Kirill Serebrennikov, einer der angesehensten Regisseure Russlands, ist seit Jahren der staat­lichen Willkür ausgesetzt. Ab 2012 leitete er das Gogol-Center in Moskau, einen Ort für experimentelles, genreübergreifendes Theater. 2021 wurde er dort seines Amtes enthoben.

Am 2. und 3.12.2022 ist sein Performancetheater Outside auf den Pfalzbau Bühnen zu sehen. Outside erzählt von der bedrückenden Situation des Eingesperrtseins, aber auch von der Freiheit der edanken. Mit überbordend schönen Bildern leistet dieser Abend Widerstand gegen kulturelle und politische Zensur. Aus dem Zwiegespräch zweier verfemter Künstler entstehen visuelle Phantasien, die mitten ins Herz treffen.

In der Produktion All right. Good night. des Performance-Kollektivs Rimini Protokoll, zu sehen am 6. und 7.12.2022, setzt Regisseurin Helgard Haug zwei unterschiedliche Verlust­erfahrungen in Beziehung zueinander. Das rätselhafte Verschwinden der Boeing MH370 mit 239 Menschen an Bord und das sukzessive Verschwinden des menschlichen Verstands im Zustand der Demenz bei ihrem Vater. Beides, das weltumspannende Medienereignis und das sich im Stillen vollziehende individuelle Schicksal, verknüpft sie und schafft damit ein be­rückend schönes und trauriges Theaterereignis von großer imaginärer Kraft. Fünf Musikerin­nen des Zafraan-Ensembles spielen die eigens für diesen Abend geschaffenen Kompositionen der bekannten Elektropmusikerin Barbara Morgenstern. Das überraschende Geflecht aus Klang, Licht und Wort entwickelt einen emotionalen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

In Misericordia erzählt Emma Dante im Gastspiel des Piccolo Teatro di Milano am 14. und 15.12. die Geschichte von drei Prostituierten und dem behinderten Jungen Arturo, der mit ih­nen in einer heruntergekommenen Ein-Zimmer-Wohnung lebt. Tagsüber stricken die Frauen Tücher, und nach Sonnenuntergang sitzen sie am Eingang ihres Hauses und bieten ihre nicht mehr jungen Körper den Passanten an. Der hyperaktive Junge Arturo kann nicht einen Mo­ment still sein. Jeden Abend zur gleichen Zeit geht er zum Fenster und hängt seinem Traum nach, in einer Band die Basstrommel zu spielen. Er ist geprägt von Erinnerungen an seine früh verstorbene lebensfrohe Mutter Lucia. Das packende Stück fasziniert durch den Gegensatz zwischen den lebhaften, gestenreichen Gesprächen der drei Frauen und dem stummen Arturo, der in Emma Dantes Inszenierung von dem Tänzer Simone Zambelli dargestellt wird. Mit der Sprache des Körpers bringt er die Emotionen des Jungen deutlicher und unmittelbarer zum Ausdruck als Worte es könnten.