Das informelle Zentrum der Stadt

Bib Team 9 2017Die Geschichte der Weinheimer Stadtbibliothek: Seit 36 Jahren mit Sitz in der Luisenstraße

Weinheim. Die Weinheimer Stadtbibliothek hat in ihrer 111-jährigen Geschichte immer wieder neue Seiten aufgeschlagen, sie ist die die älteste Kultur- und Bildungseinrichtung der Stadt (s. weiteren Artikel zum Jubiläumsprogramm).
Vor bald 37 Jahren, am 18. Oktober 1985, hat die Stadt mit ihrer Bücherei Neuland betreten. Damals zog die Hauptstelle der Stadtbibliothek von einer eher improvisierten Bleibe im Bürgerpark in die umgebaute und mit einem modernen Anbau versehene Diesterwegschule um. Die frühere „Bubenschule“ war frei geworden, nachdem der Landkreis in der Weststadt sein Berufsschulzentrum errichtet hatte. „Es war die richtige Entscheidung,
das Gebäude liegt sehr zentral in der Stadt, es wird gut und gerne genutzt“, sagt ein Mann, der die Bibliothek lange geleitet hat und gut kennt: Diplom-Bibliothekar Dietmar Pfennigschmidt. Er konnte seinerzeit den Umzug als junger Bibliothekar mitgestalten und erinnert sich auch noch gut an kontrovers geführte Diskussionen damals im Gemeinderat. Als Alternative zu dem Anbau an die alte Schule für rund 4,5 Millionen Euro wurde eine zeitlang auch über einen neun Millionen teuren Neubau im „Stadtpark“ diskutiert, auch Standorte an der Stadthalle in einem geplanten Kulturzentrum und im Atrium waren im Gespräch. Die Entscheidung fiel knapp für die ehemalige Diesterwegschule in der Luisenstraße.
Ein guter Platz für das „informelle Zentrum der Stadt“, wie auch die jetzige Leiterin Stephanie Koch findet. Das Gebäude bietet auf vier Stockwerken (im Untergeschoss mit Saal und Gruppenräumen) stattliche 1600 Quadratmeter Fläche. Die Diplom-Bibliothekarin folgte im Frühjahr 2017 auf Elke Huber in der Bibliotheksleitung; vier Jahre lang war sie ihre Stellvertreterin.
25 Jahre Bibliothekswesen zwischen 1985 und 2010 – darin spiegelt sich natürlich eine rasante Entwicklung wider. Anfangs gab es noch Karteikarten in vielen Schubladen als Kataloge im Eingangsbereich, die erst 1997 durch den ersten Online-Katalog ersetzt wurden, seit dem Jahr 2001 nutzt die Weinheimer Stadtbibliothek die Software „BibliothecaPlus“ mit Integration von Erwerbung, Katalogisierung und Ausleihe. Literatursuche, Leihfristverlängerung und Vormerken ausgeliehener Medien über das Internet wurde zwei Jahre später eingerichtet.
Schon 1985 kamen die ersten „Non-Book-Medien“ in den Bestand dazu: Musikkassetten. Die sind mittlerweile natürlich wieder aus dem Angebot verschwunden, dafür stehen nun rund 8000 CD, DVD und CD-ROM zur Verfügung, das sind knapp 20 Prozent des gesamten Bestandes. Die Harry-Potter-Hörbücher sind natürlich seit Jahren der Renner, gerne suchen die Nutzer aber auch Angebote außerhalb des Mainstreams. Die „Sagen des Altertums“ beispielsweise oder bekannte Aufnahmen der Jazzmusik oder verschiedene Einspielungen aus Oper und Konzert. Seit 16Jahren bietet die Stadtbibliothek auch die öffentliche Internetnutzung an. Für Besucher, die ihr eigenes mobiles Endgerät mitbringen, gibt es seit 2 Jahren auch kostenloses W-LAN. Dieses stellt der Verein „Freifunk Rhein Neckar e.V.“ zur Verfügung. Das Buch ist und bleibt das Leitmedium, auch wenn sich die meisten Kunden einen Medienmix ausleihen. Rund 230 000 Entleihungen verzeichnete die Stadtbibliothek im Jahr 2017, 1985 waren es noch rund 120 000. Der Bestand wurde von damals 82 000 Medien auf heute 42 000 Medien verschlankt, auch die Zahl der kostenintensiven Zeitschriften-Abos von 290 auf 97 reduziert.
Dafür gibt es Zuwachs auf elektronischen Wegen: Seit 2013 ist die Stadtbibliothek dem Zusammenschluss der inzwischen 33 Bibliotheken im Rhein-Neckar-Raum beigetreten und bietet ihren Kunden Zugriff auf die Onleihe und den Pressreader. Die Onleihe stellt den Bibliotheksnutzern mittlererweile 50 000 E-Books, E-Audios und E-Magazines zur Verfügung. Der Pressreader umfasst beinahe 7000 Zeitschriften und Zeitungen aus aller Welt in vielen Originalsprachen. Beide Angebote sind auch über neue Onleihe-Apps für Android und iOS verfügbar und runden das Angebot der Bibliothek ab.
Der Service vor Ort wird deshalb nicht weniger persönlich – und einen der besten Kaffees in der Stadt gibt es auch.
Auch die Anforderungen haben sich in den letzten 25 Jahren verändert, sie sind gestiegen. Heute ist die Stadtbibliothek auch ein Ort der Integration, denn in den Räumen der Bücherei können natürlich alle Menschen, völlig ungeachtet ihrer Herkunft oder Kultur, ihres Alters oder ihres sozialen Standes, kostenlos lesen – und sich informieren und bilden. Da schließt die Bibliothek auch eine soziale Lücke im Schulsystem. Sie ist ein stabiles Glied der Weinheimer Bildungskette.
Stephanie Kochs Ziel ist es, die Stadtbibliothek noch mehr zur Kommunikationszentrale auszubauen, in der sich Menschen treffen, gemeinsam arbeiten, lernen, recherchieren – sich austauschen. In diesem Sinne will die neue Chefin auch die Zusammenarbeit mit den Schulen noch weiter ausbauen.
Die Zahl und die Bandbreite der Veranstaltungen ist kontinuierlich gewachsen, zum Beispiel gibt es monatlich einen Kindernachmittag für Kinder ab vier Jahren, den Lese- und Rätselspaß für etwas ältere Kinder sowie die mehrsprachige Vorlesestunde in Zusammenarbeit mit dem Bildungsbüro. Dazu kommen Lesungen, Bücherflohmärkte, Theaterstücke und andere Aktivitäten. Zweimal in jüngster Zeit, 2017 und 2015, holte die Bibliothek das europaweit bedeutsame Stadtlesen in die Stadt und wurde damit für jeweils vier Tage zum literarischen Zentrum der Metropolregion Rhein Neckar.
Gerade bei den modernen Entwicklungen ist Stephanie Koch froh über ein junges Team an Kolleginnen, die stets aufgeschlossen gegenüber Neuerungen und Wünschen der Kundschaft sind. „Wir sind ein Superteam, und die Arbeit macht jeden Tag Spaß“, beschreibt sie. Und die Bücherei steht im landesweiten Ranking seit Jahren immer gut da.
Was viele nicht wissen dürften: Die Stadtbibliothek ist auch ein Ort, an dem wissenschaftlich gearbeitet wird. Diplomanden und Doktoranden bereiten sich dort auf ihre Prüfungen vor, die Mitarbeiterinnen der Bücherei können über ein Fernleihsystem praktisch jede Publikation bestellen, die nötig ist.
Am Rande: In der Bücherei herrscht striktes Handyverbot. „Unsere Nutzer schätzen das Haus als Ort der Ruhe und der Aufenthaltsqualität, als ein Haus des Bürgergesprächs“, beschreibt die Leiterin. Ein Zentrum von Information und Kommunikation eben.