In Viernheim werden mehr Flüchtlinge leben

Gemeinsames Arbeitskonzept der Katholischen Pfarrgemeinde St. Michael/St. Hildegard des Vereins Lernmobils, des Kreises und der Stadt: Ab 24. September sollen 130 Asylbewerber im Rhein-Neckar-Hotel sukzessive untergebracht werden

Bürgermeister Matthias Baaß: „Situation für alle Bürger positiv gestalten!“ Ohne Erlernen der deutschen Sprache ist alles nichts

Das Wichtigste zuerst: Ab 24. September werden sukzessive 130 Asylbewerber im ehemaligen Rhein-Neckar-Hotel untergebracht: Einzelpersonen, Eheleute und Familien mit Kindern. In Etage 1 soll Wohnraum (Einzelzimmer) für 16 Personen zur Verfügung gestellt werden, deren Asylverfahren abgeschlossen ist und die Gemeinschaftsunterkünfte verlassen müssen. Der Vermieter wird einen Hausmeister vor Ort beschäftigen.

Schon jetzt befindet sich in direkter Nachbarschaft des neuen Standortes ein weiteres Wohngebäude, welches bereits heute mit 37 Flüchtlingen belegt ist. Die Bewohner in unmittelbarer Nachbarschaft des früheren Rhein-Neckar-Hotels wurden in der letzten August-Woche über die Nutzung dieses Gebäudes per Rundbrief informiert. Ehrenamtlich Tätige erhalten Unterstützung durch Hauptamtliche. Der Kreis stellt einen Sozialarbeiter für das Rhein-Neckar-Hotel und Heinrich-Lanz-Ring 2 in Vollzeit zur Verfügung. Die Ehrenamtsinitiative bekommt Unterstützung durch eine weitere Person. Das Bistum Mainz finanziert zwei Sprachförderer. Das Lernmobil sorgt für qualifizierte Sprachförderung.

Dies und mehr war bei der Pressekonferenz am vergangenen Montag zu erfahren, zu der Bürgermeister Matthias Baaß eingeladen hatte. „In Viernheim werden mehr Flüchtlinge leben“ – so lautete das Thema.

Zusammen mit Erstem Stadtrat Jens Bolze, Kreisbeigeordnetem Matthias Schimpf, Pfarrer Angelo Stipinovich, Larysa Kay-Kulakowski (Abteilungsleitung für Erwachsenenbildung Verein Lernmobil e.V.), Josef Benz (Amt für Sozialwesen) und Erika Bartonitz (Amt für Sozialwesen Kreis Bergstraße) informierte er über das gemeinsame Arbeitskonzept der katholischen Pfarrgemeinde St. Michael/St. Hildegard, des Vereins Lernmobil, des Kreises Bergstraße und der Stadt Viernheim.

Bürgermeister Matthias Baaß sprach dabei von einem schon seit längerer Zeit diskutierten Konzept nicht nur für Flüchtlinge, sondern für alle Bürger dieser Stadt. Ziel sei es, die Situation für alle Bürger möglichst positiv zu gestalten. Das vorliegende Konzept sei von längerfristigem Denken geprägt. Bezugnehmend auf die zunehmenden Flüchtlingszahlen und die damit verbundenen Herausforderungen an die Gemeinden stellte der Bürgermeister fest: „Es ist ein Irrglaube zu meinen, dass es einfach so weitergehen kann.“

Für das Objekt Heinrich-Lanz-Ring 2 wird es eine feste Betreuungsperson (Sozialarbeiter) als Ansprechpartner für die Flüchtlinge in allen Lebenslagen insbesondere bei finanziellen und rechtlichen Angelegenheiten, geben. Die Betreuung umfasst wöchentlich 39 Stunden. Der Sozialarbeiter bietet feste Sprechzeiten in einem eigenen Büro in der Gemeinschaftsunterkunft (Rhein-Neckar-Hotel) sowie die Betreuung der Flüchtlinge in den jeweiligen Wohnungen an. Die Finanzierung übernimmt der Kreis Bergstraße. Weitere Verstärkung durch Vermietung an „Helping Hands“ im ersten Stock ist sehr sinnvoll (Landsleute als Ansprechpartner).

Alle Beteiligten sind fest entschlossen, die aktuellen Herausforderungen anzunehmen und zur Zufriedenheit aller Bürger zu lösen. Gemeinsames Handeln ist entscheidend, Streitigkeiten über Zuständigkeiten soll es nicht geben.

Kreisbeigeordneter Matthias Schimpf machte deutlich, dass es ohne personelle Aufstockung nicht möglich sei, die momentane Herausforderung zu bewältigen. Er würdigte die Willkommenskultur, doch die zunehmenden Aufgaben dürften und könnten nicht auf dem Rücken und den Knochen des Ehrenamts gelöst werden. Deshalb werde der Kreis Bergstraße in Vollzeit einen Sozialarbeiter beschäftigen, der sein Büro vor Ort im Gebäude (Rhein-Neckar-Hotel) hat und Ansprechpartner sowohl für die Flüchtlinge als auch für die unmittelbare Nachbarschaft sein wird. Nach seinen Worten sind im Kreis Bergstraße (Stand 1.8.2015) 1.712 Asylbewerber untergebracht, mit weiteren 610 sei zu rechnen. Diese müssten dann nach einem bestimmten Modell auf die Kreisstädte verteilt werden. Mit einem weiteren Anstieg der Asylbewerberzahlen müsse man rechnen.

Schimpf, Baaß, Bolze und Stipinovich betonten gemeinsam die Notwendigkeit, Sorgen und Skepsis der Bürger ernst zu nehmen, offen damit umzugehen, die Menschen frühzeitig und umfassend zu informieren. Aus der Herausforderung dürfe keine Überforderung entstehen.

Deshalb haben die Kooperationspartner (Kreis, HiMi, Lernmobil, Stadt) Ende August die Bewohner in unmittelbarer Nachbarschaft des früheren Rhein-Neckar-Hotels angeschrieben und über die Nutzung des Gebäudes zur Unterbringung von Flüchtlingen informiert.

Der Rundbrief hat folgenden Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Sie sicher bereits der Presseberichterstattung entnommen haben, hat der Kreis Bergstraße mit den Eigentümern des früheren „Rhein-Neckar-Hotels“ in Ihrer Nachbarschaft einen Mietvertrag zur Unterbringung von Flüchtlingen in dieser Immobilie abgeschlossen.
In den letzten Wochen sind die vorbereitenden Arbeiten durchgeführt worden, um das lange leerstehende Gebäude für diesen Zweck nutzbar zu machen. Es ist vorgesehen, dass ab September die ersten Flüchtlinge im Gebäude einziehen.

Ab Herbst 2015 sollen im Gebäude insgesamt bis zu 130 Asylbewerber in den Etagen 2 bis 6 untergebracht werden. Es ist eine Mischbelegung, das heißt, von Einzelpersonen, Eheleuten und Familien mit Kindern vorgesehen.
In der Etage 1 wird Wohnraum (Einzelzimmer) für 16 Personen zur Verfügung stehen, deren Asylverfahren bereits abgeschlossen sind und die Gemeinschaftsunterkünfte möglichst verlassen sollen.

Mit dem Vermieter ist vertraglich vereinbart, dass es vor Ort einen Hausmeister geben wird.

Deshalb wird der Kreis Bergstraße in Vollzeit einen Sozialarbeiter beschäftigen, der sein Büro vor Ort im Gebäude hat und Ansprechpartner sowohl für die Flüchtlinge als auch für die unmittelbare Nachbarschaft sein wird.

Schon heute sind ca. 140 Flüchtlinge in Viernheim untergebracht. Der Betreuung dieser Flüchtlinge hat sich bisher in einem hohen Maße die Pfarrgemeinde St. Hildegard/St. Michael angenommen. Ein Schwerpunkt der Tätigkeit war in Zusammenarbeit mit dem Verein Lernmobil ein möglichst frühzeitiger Sprachunterricht. Denn bekanntermaßen ist ohne das Erlernen der deutschen Sprache „alles nichts“. Sowohl für die schon in Viernheim wohnenden Flüchtlinge, als auch für die im „Rhein-Neckar-Hotel“ ankommenden Flüchtlinge, werden auf den Bedarf abgestimmte Sprachkurse drei Mal in der Woche
stattfinden. Dies soll neben anderen Angeboten unmittelbar dazu beitragen, dass die in Viernheim wohnenden Flüchtlinge etwas zu tun haben und nicht nur auf das Ende ihres Asylverfahrens warten müssen.

Die unterzeichnenden Institutionen wollen mit gemeinsamem Handeln dafür Sorge tragen, dass sich Flüchtlinge gut aufgehoben fühlen. Gleichzeitig ist es unser gemeinsames Ziel, eine für das gesamte Gemeinwesen verträgliche Integration zu erreichen. Allen Beteiligten ist klar, dass dies eine Herausforderung darstellt. Wir haben dafür viele Vorbereitungen getroffen, trotzdem wird es aber voraussichtlich Unvorhersehbares geben, mit dem wir uns dann aktuell beschäftigen müssen. Dies möchten wir Ihnen ausdrücklich zusagen.

Bei Bedarf werden wir mit weiteren Informationen auf Sie zukommen. Sollte es Ihrerseits gegenwärtig Fragen geben, bitten wir Sie diese zentral an das Sekretariat von Bürgermeister Baaß mitzuteilen.
(Tel.: (0 62 04) 988-248 oder per Mail an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!).

Einige Bürger haben auf das Schreiben schon reagiert, Fragen gestellt, Sorgen und Bedenken geäußert. Nach Ausführungen von Pfarrer Stipinovich, Erstem Stadtrat Jens Bolze und Amtsleiter Josef Benz konnte man diese in Gesprächen entkräften, zumindest Verständnis wecken.

Schimpf sprach auch die zukünftige Wohnversorgung an. Man müsse sich Gedanken machen über den Sozialen Wohnungsbau im Kreis Bergstraße. Lösungen müssten gefunden werden, denn die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum werde steigen.

Thema war auch die finanzielle Unterstützung seitens des Bundes und des Landes. Mittel sind angekündigt, doch bei den Städten ist bislang nichts eingegangen. Entstandene Defizite müssten vom Bund und Land übernommen werden.

Nach den Worten von Pfarrer Stipinovich haben sich in St. Hildegard/St. Michael seit Anfang 2014 viele Ehrenamtliche in unterschiedlicher Weise um die Flüchtlinge angenommen. Das HiMi-Projekt „Ich bin ein Viernheimer“ ist bekanntlich durch die Bundeskanzlerin ausgezeichnet worden. Gemeindereferent Herbert Kohl habe sich – so Stipinovich – hier besonders verdient gemacht. Wichtig sei jetzt aber, dass mit steigenden Asylbewerberzahlen hauptamtliche Kräfte ehrenamtlich Tätige unterstützen. Die HiMi-Initiative bekomme nun Verstärkung durch eine weitere Kraft. Die Kosten hierfür übernehmen Stadt und Kreis je zur Hälfte. Das Bistum Mainz finanziere zudem zwei Sprachförderer des Vereins Teach First, die mit ihrer Arbeit Anfang September bereits begonnen haben. Die Stadt zahlt auch die Fachaufsicht Sprachförderung beim Lernmobil.

Einig waren sich Pfarrer Stipinovich, Kreisbeigeordneter Schimpf, Bürgermeister Matthias Baaß und Erster Stadtrat Jens Bolze auch darin, bürokratische Hindernisse zu beseitigen. Einfache, spontane und schnelle Entscheidungen - etwa bei Praktika und Arbeitsstellenvermittlungen - müssten möglich sein, neue Strukturen gegebenenfalls geschaffen werden.

Erster Stadtrat Bolze hält es für wichtig, Bedenken und Ängste der direkt betroffenen Bewohner – aber auch verunsicherter Bürger insgesamt – ernst zu nehmen. Jeder dürfe und müsse sich äußern dürfen. Auch kritisch. Es sei falsch, jemanden gleich als „Rechten“ abzuqualifizieren, der das eine oder andere – oft aus Unkenntnis und Verunsicherung heraus – mit Sorgen und Ängsten beobachte.

Deutsche Sprache ist Grundvoraussetzung:

Ohne das Erlernen der deutschen Sprache ist alles nichts. Dazu bedarf es unbedingt eines erweiterten Angebots, das auf die Zielgruppe angepasst sein muss. Die Sprache sollte von Beginn an gelernt werden, dies ist selbst bei einem später abgelehnten Asylbewerber keine „verlorene Investition“, sondern eine Investition in die Zukunft.

Das Ziel der Sprachförderung in Viernheim ist die individuelle Förderung jedes einzelnen Asylbewerbers mit dem Ziel, den nächsten Abschluss einer Sprachstufe nach dem europäischen Referenzrahmen (A1, A2, B1, B2) zu erreichen und mit einem Zertifikat abzuschließen.

Mit dem Lernmobil steht eine Organisation zur Verfügung, die als zertifizierter Träger von Sprachförderung/-kursen auf Basis des europäischen Referenzrahmens anerkannt ist. Gleichzeitig ist das Lernmobil Träger der Integrationskurse für das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge).

Larysa Kay-Kulakowski vom Verein Lernmobil kann bereits erste Erfolge verzeichnen. 60 Flüchtlinge hätten mit A1-Kursen begonnen, 16 mit einem A2-Kurs. Der Íntensivkurs würde an vier Tagen in der Woche stattfinden. Ohne die vielen ehrenamtlichen Akteure seien die vielen Aufgaben (Sprachstandstest, Kurseinteilung, Qualifizierung, Deutschunterricht etc.) nicht möglich.

Das Integrationsnetz (Projekt „Ich bin ein Viernheimer“) wird gegenwärtig in starkem Maße durch Gemeindereferent Herbert Kohl koordiniert. Er sorgt für Impulse, setzt neue Ideen um, sucht dafür Partner, ist Anlaufstelle. Für diese Arbeit bedarf es einer Entlastung. Hinzu kommt die Verdoppelung der Anzahl der Personen.

Für diese Neuunterstützung steht eine Zusatzkraft in Vollzeit ergänzend zur Verfügung.

Grundsätzlich besteht deren Aufgabe, darin das Projektziel „Integration von Flüchtlingen in die Viernheimer Gesellschaft“ zu realisieren. Träger ist die Diözese Mainz und der Kreis Bergstraße. Die Finanzierung erfolgt seitens Stadt und Kreis. Für die Wahrnehmung der Aufgaben stehen ab 1.9.2015 zwei Personen zur Verfügung.

Hermann Wunderle

K1024 SAM02