Sarstedt: „Rente darf nicht länger Wohlstands- und Armuts-Booster sein“
Olaf Delke

Sarstedt: „Rente darf nicht länger Wohlstands- und Armuts-Booster sein“

 

Renten-Untersuchung vom Pestel-Institut: „Sozialreform der Rente dringend erforderlich“ Beamte sollen 5,5 Jahre länger arbeiten als Arbeiter – Höhere Rente für Geringverdiener Chef-Ökonom Günther: „Rente darf nicht länger Wohlstands- und Armuts-Booster sein“

Sozial-Umbau bei Renten und Pensionen gefordert: Um die Altersversorgung in Deutschland bezahlbarer zu machen, müssten Beamte künftig fünfeinhalb Jahre länger arbeiten als Arbeiter. Zu diesem Ergebnis kommt das Pestel-Institut in einer aktuellen Renten-Untersuchung. Das bisherige System von Renten und Pensionen sei ungerecht. So würden Beamte durch ihre überdurchschnittlich lange Lebenserwartung für einen deutlich längeren Zeitraum Pensionen beziehen als Arbeitnehmer Rente. Dieser Aspekte werde in der bisherigen Rentendiskussion kaum oder gar nicht berücksichtigt, so die Kritik des Pestel-Instituts. Außerdem sprechen sich die Wissenschaftler dafür aus, Geringverdiener bei der Höhe der Rentenbezüge deutlich besserzustellen. Bei der Altersversorgung sei eine Reform der bestehenden Systeme „dringend erforderlich“. Ziel müsse dabei eine einheitliche Altersversorgung sein, die nicht länger zwischen Renten und Pensionen unterscheide.
„Wer weniger verdient, lebt statistisch auch kürzer. Überdurchschnittlich viele Arbeiter und Arbeitnehmerinnen erreichen die Rente nicht einmal, weil sie früher sterben“, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. Umgekehrt würden die, die mehr verdienten – gewissermaßen proportional zu ihrem Einkommen – statistisch auch deutlich älter. „Sie bekommen also eine höhere Rente oder Pension – und das auch noch wesentlich länger. Menschen mit geringen Einkommen dagegen müssen mit einer deutlich niedrigeren Rente klarkommen, von der sie außerdem deutlich kürzer überhaupt etwas haben“, so Matthias Günther.
Die Rente habe damit einen „gravierenden Ungerechtigkeitsfaktor“ – nämlich die unterschiedliche Lebenserwartung und dadurch eine unterschiedliche Dauer der Renten- und Pensionsbezüge. Schon deshalb sei eine „Sozialreform der Rente“ dringend notwendig, sagt Matthias Günther. Der Leiter des Pestel-Instituts spricht sich dafür aus, bei der Berechnung der Höhe künftiger Renten immer auch die statistische Lebenserwartung mit einzubeziehen: „Eine bedeutende Grundlage der späteren Rente wird nach wie vor die Höhe der Beiträge sein, die im Laufe des Erwerbslebens in die Rentenkasse eingezahlt werden. Allerdings muss die voraussichtliche Dauer der Rentenzahlung ebenfalls eine Rolle spielen.“
Statistisch gebe es einen deutlichen Zusammenhang zwischen Verdienst und Lebenserwartung: „Je höher das gesamte Einkommen, desto mehr Lebens- und damit Rentenbezugsjahre hat der Renteneinsteiger zu erwarten. Deshalb sollte es hier künftig eine ‚soziale Staffelung‘ geben: Die Renten von Geringverdienern müssen mit Blick auf deren statistisch geringere Lebenserwartung unbedingt angehoben werden. Umgekehrt wäre bei Besserverdienern eine ‚soziale Dämpfung‘ der Rentenhöhe durchaus vertretbar“, so Matthias Günther.
Die Wissenschaftler des Pestel-Instituts erheben in ihrer Untersuchung zudem deutliche Vorwürfe gegen „eine seit Jahrzehnten mutlos geführte Rentenpolitik“: „Die Rentenpraxis in Deutschland ist ein fest zementierter sozialer Missstand. Es gibt nun einmal Unterschiede in der Lebenserwartung. Und die hängen ganz wesentlich vom Einkommen ab. Diese Tatsache blendet das bisherige Rentensystem allerdings völlig aus. Genau das ist ein rentenpolitisches Armutszeugnis. Und davor verschließt die Politik seit Jahrzehnten die Augen. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum die Zeit, wie lange Menschen Pensionen oder Renten beziehen, nach wie vor ein ‚politisches Tabu‘ sind“, kritisiert Matthias Günther.
Der Chef-Ökonom des Pestel-Instituts spricht sich dafür aus, das Äquivalenzprinzip beim Rentensystem aufzugeben: „Ein höheres Einkommen wird auch künftig zu einer höheren Rente führen. Es ist dabei aber wichtig, dass dann auch die zu erwartende Zeit, für die ein älterer Mensch Rente bezieht, eine Rolle spielt. Ganz konkret: Viele gut situierte Menschen – Beamte genauso wie Besserverdiener – wissen im Ruhestand nicht wohin mit ihrem Geld. Gleichzeitig kommen Verkäuferinnen und angestellte Friseure mit ihrer mageren Rente kaum über die Runden. Viele sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Und das, obwohl sie 40 oder mehr Jahre in Vollzeit gearbeitet haben“, sagt Günther. Die Rente wirke als „Wohlstands- und Armuts-Booster“. Damit müsse jetzt Schluss sein. „Auch, um die Sozialkassen künftig zu schonen“, so der Chef-Ökonom des Pestel-Instituts.